Sucht im Alter - verheimlicht, verborgen, tabuisiert
Franz war einerseits ganz froh, nicht mehr jeden Tag vollen Einsatz bringen zu müssen. Mit dem Loch, in das er fallen würde, hatte er aber nicht gerechnet. Irgendwie eigenartig, nicht mehr gebraucht zu werden. Franz gönnte sich nun das Bierchen, das er sonst am Feierabend nach getaner Arbeit mit Genuss getrunken hatte, auch schon immer öfter mal am Vormittag. Es beruhigte und machte ein gutes
Gefühl. Die Leere in seinem Leben war nicht mehr ganz so groß. Noch hatte Franz alles im Griff. Da war ja auch noch seine Frau Martha. Zwei Jahre später wurde sie krank und starb innerhalb weniger Monate.
Nun war die Leere im Leben durch nichts mehr zu füllen - außer durch das beruhigende Glas Bier, das bald zu zweien, dreien oder vieren wurde. Dann kamen Wein und immer öfter auch klare Schnäpse dazu. Franz entglitt allmählich die Kontrolle darüber, wie viel Alkohol er jeden Tag trank. Denn: Nur wenn er getrunken hatte, konnte er sein Leben ertragen. Ihm war klar, dass irgendwas richtig schieflief. Sein hoher Alkoholkonsum hinderte ihn jedoch daran, sein Leben zu ändern. Ein Teufelskreis hatte begonnen.
Kreuzbund-Gruppe "Senioren 55 plus"
Eines Tages hörte er zufällig, dass die Caritas Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen helfe. Franz dachte sich in einem seiner klaren Momente, dass es ja nicht schaden könne, dort hinzugehen. So kam er zur Caritas-Suchtberatung. Diese empfahl ihm die Kreuzbund-Gruppe "Senioren 55 plus - Sucht im Alter". Das war die Wende. Zunächst hatte Franz Hemmungen. Er schämte sich und fürchtete, dass sein "Problem", wie er es nannte, nun öffentlich würde. Doch die Caritas, die mit dem Kreuzbund und dem Suchtarbeitskreis in Stadt und Landkreis Regensburg eng zusammenarbeitet, bietet verlorenen und verzweifelten Menschen eine Hilfe, die auf sie zugeschnitten ist. Klaus Schwer und Gerd Schmücker kümmern sich um Menschen, die im Alter Probleme mit Sucht bekommen. Klaus Schwer kommt selber vom Kreuzbund, Gerd Schmücker ist Mitglied des Suchtarbeitskreises. Beide sind trockene Alkoholiker und wissen genau, wovon sie sprechen, wenn sie über Sucht reden.
Anonym bleiben, aber über Persönliches sprechen können
Unter dem Dach der Caritas trifft sich die Gruppe in regelmäßigen Abständen. Das Wichtigste dabei: "Es läuft alles absolut anonym ab. Keiner muss seinen Namen sagen. Darum geht es uns nicht", sagt Klaus Schwer. Die Teilnahme an dieser Gruppe ist absolut freiwillig und von keiner Religionszugehörigkeit abhängig. Die Hilfesuchenden müssen auch nichts zahlen. Für Menschen wie Franz sind genau diese Punkte sehr wichtig. Sie können sich in der Gruppe mit Menschen in der gleichen Situation austauschen und die alltäglichen Probleme, die im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Sucht auftreten, auf Augenhöhe besprechen. Die Uhrzeit ist außerdem mit Bedacht gewählt. "Wir treffen
uns zwischen 15 und 17 Uhr, dann können auch diejenigen, die nicht mehr Auto fahren, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu uns kommen", sagt Klaus Schwer. Was bei diesen Treffen besprochen wird, bleibt
im Gruppenraum. Nichts dringt nach außen. Dies war für Franz sehr wichtig. In der Gruppe fühlte er sich mit seinen Problemen, der Einsamkeit und seiner Leere nicht mehr alleine. Er erkannte, dass es vielen
anderen ähnlich ergeht. Durch die Gruppenzugehörigkeit entspann sich für ihn allmählich wieder ein soziales Netz. Das Gefühl von Einsamkeit, das er mit Alkoholika betäubte, wurde geknackt. Franz konnte in Gesprächen mit Klaus Schwer und mit den anderen Gruppenmitgliedern beginnen, seine Sucht zu bekämpfen und den Auslösern zu Leibe zu rücken. Auch über Rückfälle wird offen gesprochen,
denn "ein Rückfall kann immer vorkommen. Bei uns in der Gruppe kann man ganz offen darüber sprechen und dann noch einmal von vorne anfangen", sagt Klaus Schwer.
Weitere Hilfe bei der Caritas Suchthilfe
Personen, die eine intensivere Behandlung brauchen, können Klaus Schwer und Gerd Schmücker weiterhelfen. Bei der Caritas gibt es Fachleute, die in Einzelgesprächen das Suchtproblem behandeln. Die Kreuzbundgruppe "55 plus" steht nicht nur den Betroffenen offen, sondern auch deren Angehörigen. "Zu uns kann jeder kommen, der glaubt ein Problem zu haben, der nicht mehr weiterweiß oder der einen Angehörigen hat, der in Sucht fällt oder bereits gefallen ist", sagt Klaus Schwer. Meistens geht es um Alkohol-, oft auch um Tablettensucht. Männer und Frauen sind in der Gruppe gleichermaßen vertreten. Schließlich müssen sich alle mit ähnlichen Problemen wie dem Verlust der Arbeit, dem
Tod eines Angehörigen oder anderen einschneidenden Erlebnissen auseinandersetzen. Klaus Schwer sagt: "Unsere Gruppe ist eine Selbsthilfegruppe. Hier hilft man sich gegenseitig. Wir lernen gemeinsam, wie wir mit unseren Problemen umgehen können, und zwar ohne Suchtmittel." Für Franz war genau diese Gruppe die Rettung. Nun kann er beginnen, sein Leben auch ohne Suchtmittel wieder in Ordnung zu bringen. Er ist jetzt nicht mehr allein.
Sucht im Alter
Experten schätzen: Mehr als zwei Millionen ältere Männer und Frauen rauchen, bis zu 400.000 sind von einem Alkoholproblem betroffen und bei ein bis zwei Millionen Menschen weist der Gebrauch psychoaktiver Medikamente zumindest Gewohnheitscharakter auf. In den Einrichtungen der Suchthilfe sind ältere Männer und Frauen jedoch nur selten anzutreffen. Die Bevölkerungsentwicklung verschärft
dieses Problem. Außerdem wirken Suchtmittel im Alter intensiver (Quelle: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen).
Suchthilfe der Caritas
Die Caritas bietet Hilfe und Unterstützung sowohl für Betroffene als auch für Angehörige. Die Fachambulanzen für Suchtprobleme bieten in der Diözese ein flächendeckendes Netz für Menschen mit
Problemen im Umgang mit Alkohol, illegalen Drogen und anderen Formen suchtartigen Verhaltens. Dazu gehört auch die Unterstützung zur Bewältigung von Essstörungen und pathologischem Glücksspiel. Sie leisten Beratung, Diagnostik, Vermittlung in stationäre Maßnahmen, ambulante Rehabilitation, Krisenintervention und Nachsorge. Die Fachambulanzen für Suchtprobleme bilden zusammen mit dem Kreuzbund, der Fachklinik Haselbach und der Adaptionseinrichtung START den sogenannten "Therapieverbund Caritas".
Weitere Infos: www.suchthilfe-ostbayern.de
Kreuzbund Regensburg
Der Kreuzbund e.V. Regionalverband Regensburg ist eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Suchtproblemen und ihre Angehörigen. Er gehört als Fachverband zur Caritas. In über 50 Selbsthilfegruppen treffen sich bistumsweit regelmäßig mehr als 600 Menschen. Die Gruppenarbeit ermöglicht es den Teilnehmern, sich im Alltag zurechtzufinden, ihre Probleme zu lösen und eine positive Lebenseinstellung zu gewinnen. Darüber hinaus fördert und praktiziert der Kreuzbund eine suchtmittelfreie Freizeitgestaltung.
Mehr Infos zum Kreuzbund: www.kreuzbund-regensburg.de
Autoren: Angelika Lukesch, Marcus Weigl