Im Zentrum der Schmerz
Über 350.000 Kinder zwischen acht und 16 Jahren in Deutschland leiden so stark an chronischen Schmerzen, dass sie im Alltag stark beeinträchtigt sind. Sie hat Prof. Dr. Boris Zernikow mit seinem multiprofessionellen Team an der zur Caritas gehörenden Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln im Blick. Mit der Gründung des Deutschen Kinderschmerzzentrums soll die Arbeit ausgeweitet und vor allem das über Jahre gesammelte und weltweit anerkannte Spezialwissen über Internet und Ausbildung verbreitet werden. Außerdem soll die Forschung über Ursachen und Behandlungsmethoden intensiviert werden. Eine erste große Förderzusage über 1,25 Millionen Euro hat das Zentrum von der Rudolf-Augstein-Stiftung erhalten.
Die Kinder- und Jugendklinik hat 2007 eine Schmerzambulanz und 2005 die Schmerzstation "Leuchtturm" eingerichtet. Jährlich werden 1.200 Patienten ambulant und mehr als 200 stationär behandelt. Anstoß für die Idee, diese Arbeit durch das Deutsche Kinderschmerzzentrum auszubauen, war der Preis als "Ausgewählter Ort 2011" im Wettbewerb "Deutschland - Land der Ideen", der vom Bundespräsidenten zuerkannt wurde: "Dies haben wir als Auftrag verstanden", sagt Zernikow.
Für die Idee wird allerdings Geld gebraucht. Der Aufbau ist deshalb in verschiedenen Phasen geplant. Zunächst soll ein Internetauftritt für betroffene Kinder und Jugendliche Informationen anbieten, eine Patientenhotline eingerichtet und ein Referenzzentrum für Therapeuten eingerichtet werden. Ein Neubau des ambulanten und der Ausbau des stationären Angebots wird eine Ausweitung der Patientenzahlen ermöglichen. Endziel sind Forschungsprojekte und die Einrichtung von Stiftungsprofessuren.
Während akuter Schmerz überlebenswichtig ist und eine Ursache hat, die man bekämpfen kann, "finden wir bei chronischen Schmerzen nicht den einzigen Defekt, den wir reparieren können", erklärt Chefarzt Zernikow. Neben dem körperlichen Auslöser lerne das Gehirn psychologisch den Schmerz und gebe es zudem in der Regel eine soziale Komponente, die beispielsweise in der Familie oder Schule zu suchen sei. Im Durchschnitt haben die Patienten 3,6 Ärzte besucht, bevor sie in Datteln vorgestellt werden. Die meisten haben in mehreren Körperregionen Schmerzen, am häufigsten Kopf-, Bauch und Gelenkschmerzen. Die Hälfte von ihnen haben falsche Medikamente bekommen, die im schlimmsten Fall selbst neue Schmerzen verursachen, so Zernikow.
Da braucht es ein großes Team, um im Einzelfall dem Geflecht aus auslösenden Ursachen auf die Spur zu kommen und die richtigen Heilungswege zu finden. Kinderärzte, Kinderpsychologen, Krankenschwestern aber auch Erzieherinnen, Musikpädagogen, Sozialarbeitern und Lehrer der Schule für Kranke "arbeiten auf Augenhöhe zusammen", sagt der Schmerzspezialist. Zu diesem "Kernteam" kommen fallweise beispielsweise Krankengymnasten, Kindergastroenterologen, Kinder- und Jugendpsychiater und pädiatrische Radiologen hinzu.
Wenn es "supergut läuft", gelingt es tatsächlich, den Schmerz komplett zu besiegen. Aber das sei eher selten, weiß der Kinderarzt aus Erfahrung. Gut die Hälfte der Kinder könne zumindest lernen, trotz ihrer Schmerzen glücklich zu leben. Damit hätten sie auch wieder die Chance, in der Schule mitzukommen und sich eine Zukunft aufzubauen. Wissenschaftliche Auswertungen zeigten, dass bei vielen weiteren Patienten die Schmerzintensität und die schmerzbedingten Einschränkungen des täglichen Lebens gebessert werden könne.