Dortmund als Verheißung
Die Rede ist vom Zuzug von Menschen aus Bulgarien und Rumänien. Rund 2000 Zuwanderer mögen inzwischen dort wohnen, keiner kennt die genauen Zahlen. Die meisten kommen aus Stolipinovo, einem Stadtteil der bulgarischen Stadt Plovdiv. Viele dieser bulgarischen Staatsbürger gehören zur Gruppe der türkisch sprechenden muslimischen Xoraxane-Roma, "In Stolipinovo leben zwischen 45.000 und 50.000 Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe in zum Teil bitterster Armut." Dass viele die Koffer packen und ihr Glück in der Ferne suchen, wundert Frank Merkel nicht.
In ihrer Kultur herrscht Respekt vor dem Alter. Und so bezeichnet es Frank Merkel als Glücksfall, dass für die Caritas ein älterer Herr türkischer Herkunft als Honorarkraft arbeitet. "Mit ihm suchen wir die Orte auf, an denen wir Bulgaren treffen. Er hat schon manches Gespräch vermittelt, aber es herrscht großes Misstrauen, auch weil diese Menschen nicht daran gewöhnt sind, dass es Einrichtungen wie die Caritas gibt, die helfen und beraten." Und so beäugen sich Bewohner der Dortmunder Nordstadt und Zuwanderer misstrauisch. Es ist ein Misstrauen, das 2011 mit einem Knall bundesweit in die Schlagzeilen geriet: mit der Schließung des Dortmunder Straßenstrichs. Dort herrschten früher - mehr oder minder - feste "Regeln". Dann kamen die Bulgaren und Rumänen und diese "Regeln" wurden außer Kraft gesetzt, die Kriminalität stieg, die Stadt zog die Reißleine. Und für die Bevölkerung war klar: Die kommen doch nur, um hier Verbrechen zu begehen, Frauen auf den Strich zu schicken, Wohnungen aufzubrechen.
In einem solch aufgeheizten Klima zu arbeiten, bedarf es Geduld. "Natürlich gibt es unter den Zuwanderern auch Kriminelle, keine Frage. Aber die meisten kommen, einfach weil sie in ihrer Heimat ausgegrenzt werden und in einer solchen Armut leben, dass ihnen alles andere besser erscheint als ein Verbleib." Die üblichen Integrationsmaßnahmen greifen nicht, wenn es Zuwanderern nicht um Integration, sondern erst einmal um Sicherung ihrer Existenz geht. Aus dem Ziel einer Integration ist erst einmal ein pragmatischer Ansatz geworden: Der Aufbau einer gegenseitigen Akzeptanz von Roma und Nordstadt-Bewohnern. Wie schwierig sich das gestaltet, zeigt die Tatsache, dass aus den Gruppen der Zuwanderer niemand am Gespräch mit Sozialcourage teilnehmen wollte: "Es gibt einfach noch niemanden, der gesellschaftlich so integriert wäre, dass er oder sie als ein Bindeglied auftreten könnte", bedauert Merkel die gegenwärtige Situation.
Für 2012 hofft Merkel, Kurse für niedrigschwellige Deutschkenntnisse anbieten zu können. Dafür Geld zu bekommen ist nicht leicht, denn bezuschusst werden Integrationskurse nicht.
Man arbeitet mit der Diakonie eng zusammen, einen guten Kontakt gibt es auch zu einem Kommunalpolitiker in Plovdiv, der selbst Rom ist. Dessen soziale Arbeit vor Ort wird unter anderem von dem Verein "Freunde Stolipinovo" unterstützt, den der Dokumentarfilmer Andreas Kraus gegründet hat. Der drehte in Stolipinovo und war von der Armut erschüttert. Die Situation in Bulgarien muss verbessert werden, nur wenn es vor Ort besser wird, besteht überhaupt ein Anreiz dort zu bleiben. In Stolipinovo gibt es inzwischen einen Häuserblock, der etwas weniger heruntergekommen ist als die anderen. Er wird Dortmund-Block genannt, denn aus Dortmund kommt das Geld. Dortmund ist das Synonym für Verheißung. Die Zahl der Zuwanderer wird so schnell auf jeden Fall nicht zurückgehen.