"Ignorierte Armut macht die Kirche krank"
Auch mit "LeiLa - Leben im Laden", dem Ladenlokal mit Gebrauchtkleidung, Spielzeug und Beratung in Marls Fußgängerzone hat Pfarrer Mike Metzlers St. Marien Pfarrei wieder Zugang zu den Menschen gefunden. Dies ist schon das vierte soziale Stadteilprojekt seiner Gemeinde und das fünfte ist in Planung. Für die Besuchergruppe der Regionenreise durch den Kreis Recklinghausen des Diözesancaritasverbandes Münster eines von zwei gelungenen Beispielen für sozialraumorientierte Zusammenarbeit. Metzler erklärte die Motivation zu dieser Initiative seiner Gemeinde so: "Ignorierte Armut macht die Kirche krank". Bei einer schonungslosen Bestandsaufnahme sei deutlich geworden, dass der Bezug der Menschen zur katholischen Kirchengemeinde verloren gegangen sei. Zuvor diskutierten die leitenden Mitarbeiter des Diözesancaritasverbandes mit der Caritas Marl, Vertretern der Stadt und des Gesundheitsamtes sowie Besuchern der Tagesstätte für Wohnungslose darüber, wie schwierig es für sie ist, notwendige medizinische Hilfe zu finden. Hier hilft die Zusammenarbeit zwischen Caritas und Kreisgesundheitsamt.
Einmal im Monat für eine Spritze nach Herten fahren und dafür auch noch fünf Euro zuzahlen zu müssen, sei für ihn praktisch unmöglich bei einem Einkommen von 300 Euro, berichtete einer der Tagesstätten-Besucher. Für Dr. Angelika Burrichter, die den amtsärztlichen Dienst des Kreisgesundheitsamtes leitet, ein typisches Beispiel für die Probleme armer Menschen, notwendige Leistungen des Gesundheitssystems zu erhalten.
Insbesondere die Zuzahlungen hält auch Diözesancaritasdirektor Kessmann für eine "Fehlsteuerung", die dringend überdacht werden müsse. Sie hätten nicht zu weniger Arztbesuchen wie erhofft geführt, sondern hielten nur Menschen mit geringem Einkommen davon ab, rechtzeitig medizinische Hilfe zu suchen und Therapien konsequent anzuwenden.
Im konkreten Fall bewährt sich heute schon die Zusammenarbeit in einem Projekt von Gesundheitsamt und Caritas. In der Tagesstätte werden medizinische Sprechstunden und Beratung angeboten. "Erst einmal geht es dabei darum, das Vertrauen zu gewinnen," stellte Christel Grossek klar, die die Hilfen für wohnungslose Menschen bei der Caritas Marl leitet. Kombiniert mit den sozialen Hilfen der Caritas liessen sich Lösungen finden.
Grossek verwies auf die soziale Dimension schlechter Gesundheit, die häufig Folge von Armut sei und wiederum dazu führe, nicht aus ihr herauszukommen. Mit einem schlechten Gebiss sänken die Chancen bei Bewerbungen. Auf kranken Füßen könne ein Mensch keinen sicheren Stand im Leben erreichen. Diese Probleme betreffen immer mehr Menschen in Marl. Im letzten Jahr sei ein neuer Rekord an Beratungen zu verzeichnen gewesen, stellte Caritas-Vorstand Peter Joachimsmeier dar. Darunter seien immer mehr junge Menschen. Allen guten Wirtschaftsdaten zum Trotz lebten rund 10.000 Menschen in der Stadt in Bedarfsgemeinschaften von Arbeitslosengeld II.
Eine ganze Reihe von ihnen erreicht die St. Marien Pfarrei jetzt wieder mit ihren Angeboten. Die Menschen seien schon gar nicht mehr auf die Idee gekommen, im Pfarrhaus nach Hilfe zu fragen, so Pfarrer Metzler. Andererseits sei das staatliche Hilfesystem inzwischen so komplex, dass die Menschen allein nicht mehr dadurch fänden. Dazu brauche es schon die Fachleute der Caritas. Gerne habe er deshalb das Angebot der Zusammenarbeit von Christel Grossek angenommen. Das Ergebnis, "LeiLa", ist mehr als der bekannte Second-hand-Laden. Regelmäßig bieten hier eine Rechtsanwältin, ein Allgemeinmediziner und ein Gynäkologe Beratung an. Seelsorger der Pfarrgemeinde und Ehrenamtliche stehen für Gespräche bereit.
St. Marien ist damit wieder ins Bewusstsein der Menschen gerückt und Pfarrer Metzler nicht erst jetzt davon überzeugt, "dass eine Pfarrgemeinde ohne ausgewiesenes caritatives Engagement heute nicht auskommen kann."