Wenn Nicht-verstehen krank macht
Wer etwas nicht versteht, weil er das System nicht kennt, hat ebenfalls eines. Kommt beides zusammen, mündet das in diesem Fall in Unwohlsein, Beschwerden, Krankheiten.
Wenn Kayi Schlücker könnte, wie sie wollte, dann gäbe es dieses Teekesselchen nicht. Dann könnte das deutsche Gesundheitssystem auch bei zugewanderten Menschen all seine Stärken ausspielen – und ihnen helfen, wenn sie in Not sind. Denn diese Hilfe haben sie dringend nötig. Das hat die Frau aus dem westafrikanischen Togo immer wieder erfahren. Kayi Schlücker nennt sich selber „Kosmopolitin“ - und hat als solche einen besonderen Zugang zu Menschen aus anderen Ländern, die ein neues Zuhause in Deutschland suchen. Die 46-Jährige hat als „Gesundheitsmediatorin“ mehr als 100 Zuwanderer in Hagen geschult zum Thema „Deutsches Gesundheitssystem“.
„Da gibt es so viele Fragen“, sagt Kayi Schlücker. Fragen, die zumeist oft aus Scham nicht gestellt werden, wie sie festgestellt hat. Ihr aber, der Frau mit einer ähnlichen Geschichte wie die Migranten sie selber haben, vertrauen sich die Menschen an. „Wenn sie merken, dass es mir nicht anders gegangen ist als ihnen, erzählen sie.“ Gespräche auf Augenhöhe. Es lässt sich leichter vermitteln, dass der Arzt genau wissen muss, was für gesundheitliche Probleme es gibt – und Scham im Arztzimmer fehl am Platze ist. Und dass es hilft, wenn man die Sprache nur schlecht beherrscht, sich die Begriffe zuvor im Wörterbuch herauszusuchen.
„Ich sage den Teilnehmern: Der Arzt hat nicht viel Zeit. Kommen Sie zur Sache.“ Erst einmal aber muss ein Arzt gefunden werden. Wie geht das? Und was sind Vorsorgeuntersuchungen? Warum sind die wichtig? Und wer darf überhaupt ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen? „Das hängt vom Status ab“, sagt Frau Schlücker, die seit 17 Jahren in Deutschland lebt. Bei Asylbewerbern etwa ist das Sozialamt zwischengeschaltet und gibt Krankenscheine aus. Da taucht aber das nächste Problem auf: „Die Mitarbeiter dort können sich häufig nicht mit den Kunden verständigen. Hier müssten Dolmetscher arbeiten.“
Und so stecken kranke Migranten ganz schnell in einem Kreislauf aus Unkenntnis, Nicht-Verstehen und Scham – was in Summe die Beschwerden noch verstärkt. Das hat Kayi Schlücker festgestellt: Viele Menschen, die ihr Geburtsland verlassen haben, leiden an psycho-somatischen Störungen. Kommen in der neuen Umgebung nicht klar, es drücken sie Ängste und Sorgen, die sich in körperlichen Symptomen niederschlagen. „Viele haben Rückenprobleme oder Bauchschmerzen.“ Sie weiß das. Der Arzt aber nicht.
In neun Sprach- und Integrationskursen hat sie im Auftrag der Integrationsagentur des Caritasverbandes Hagen ihre Aufklärungen angeboten. Viele Probleme wurden an sie herangetragen, einfach weil es gut tut, mit jemandem zu reden. Sei es die Frau, die sich sorgt, weil sie nicht schwanger wird, die Mutter, deren Kind nichts essen will, der pflegebedürftige Angehörige, der versorgt werden muss. „Ich sage immer: Ich bin kein Arzt! Aber ich kann sagen, wo man Hilfe bekommt. Und in Deutschland bekommt man Hilfe.“ Und sei es zunächst Hilfe, das Gesundheitssystem überhaupt zu verstehen.