Von behördlichen Hürden und tiefem Vertrauen
"Wir betreuen hier 50 Flüchtlinge dezentral. Ab heute Nachmittag sind es dann 51, weil ein Baby geboren wird", erzählt die Sozialpädagogin Dorothea Weimann, die vier Stunden täglich Flüchtlinge aus Tschetschenien, Ghana, Afghanistan oder dem Irak unterstützt. In den anderen vier Stunden ist sie für Migranten tätig, die keine Flüchtlinge sind. In dem Bereich der Flüchtlingsbetreuung arbeitet auch ihre Kollegin Sarah Schartow-Zboinski, denn der Bedarf in der Kleinstadt ist hoch, ist doch die Caritas als einziger freier Träger in diesem Bereich tätig.
Die Flüchtlinge werden in der vorpommerschen Kleinstadt dezentral in Plattenbauten einquartiert. "Die Wohnungen befinden sich meist in noch unsanierten Gebäuden im fünften oder sechsten Stock. Da also, wo die Einwohner nicht so hin wollen", beschreibt Dorothea Weimann, die sich auch ehrenamtlich viel engagiert, die Situation. Die Betroffenen erhalten eine Minimalausstattung, unter anderem bestehend aus einem neuen Herd und einem neuen Kühlschrank. Gerade da entstehen die Vorurteile, weiß die Betreuerin: "Die Anwohner sehen, wie die Sachen angeliefert werden, lesen meist nur die Reklame auf den LKWs und denken, dass die Flüchtlinge Top-Marken erhalten. Das schürt Neid und Missgunst." Dabei sei so eine Unterbringung gerade für Familien oder alleinerziehende Mütter allemal besser als im Asylbewerberheim vor Ort zu leben, wo sie nur sechs Quadratmeter pro Person für sich hätten, mit Gemeinschaftstoiletten, -duschen und -küchen. In dem Wohngebiet befinden sich auch gleich eine Kindertagesstätte und eine Grundschule. "Wir arbeiten mit diesen Akteuren sehr gut zusammen. Man muss sich vorstellen: Die Kinder sind meist die Dolmetscher ihrer Eltern und jedes Mal kommt ihr ganzes Trauma wieder hoch", erklärt Dorothea Weimann. Das schnürt ihr manchmal die Kehle zu. "Was muss jemandem passieren, bevor man alles verlässt? Die meisten Familien, die hier ankommen, sagen ganz klar: Ich will, dass meine Kinder sich in Freiheit entfalten können", räumt Dorothea Weimann ein. Sie selbst hat schon vieles in ihrem Leben ausprobiert. So war sie Hotelfachfrau, hat in der Gastronomie andere ausgebildet und ist gelernte Erzieherin.
Die betroffenen Flüchtlinge erfahren in Anklam aber auch große Solidarität. So werden zum Beispiel im Umsonst-Laden der Caritas oft hochwertige neue Kleidung oder Spielzeug abgegeben, was ausdrücklich für die Flüchtlinge gedacht ist. Seit einigen Monaten kann die Caritas auch einen Deutschkurs für Flüchtlinge, die noch keinen Aufenthaltsstatus haben, anbieten. Hierfür hat der Verein Soroptimist International Greifswald-Vorpommern Spenden gesammelt, so dass die Referendarin für Deutsch als Fremdsprache, Nicole Hanisch, im Konferenzraum der Caritas zweimal die Woche Unterricht anbieten kann. Unterricht, der gerne angenommen wird, denn viele der Flüchtlinge sind hoch ausgebildete Fachkräfte. "Gerade die Tschetschenen sind Anfang 30, Mitte 40, Muslime. Dennoch sind die Frauen top ausgebildet. Es finden sich Diplom-Medizinerinnen und Lehrerinnen unter ihnen. Für sie ist es mit dieser Qualifikation ein Leichtes, Deutsch zu lernen", erzählt die Sozialpädagogin Dorothea Weimann.
Ärgerlich sind für die Beraterinnen oft die behördlichen Hürden, die sie für ihre Schützlinge überwinden müssen. "Für jeden Arztbesuch zum Beispiel brauche ich einen vom Sozialamt abgestempelten Überweisungsschein. Aber die Kinder fragen nicht, ob es nun Sonntag ist oder wochentags, wenn sie krank werden. Da wäre es gut, wenn wir einige Blanko-Überweisungsscheine vorrätig hätten", räumt sie ein, die mit ihrer Kollegin jederzeit für die Flüchtlinge erreichbar ist, eben auch am Wochenende. Da wünsche sie sich oft weniger Hierarchien. "Es geht vieles einfacher, wenn man klar und direkt miteinander redet", ist sie überzeugt.
Die 62-Jährige war auch schon bei mehreren Geburten im Krankenhaus dabei. "Das ist das Schöne an diesem Job", meint sie und lächelt bei der Erinnerung daran, wie der kleine Raffael nicht erst im Krankenhaus, sondern schon in ihrem privaten PKW zur Welt kam. "Es ging nicht mehr anders und ich hätte die Mutter nicht alleine lassen können", erklärt sie sanft. Mittlerweile ist sie deshalb auch Taufzeugin des kleinen Jungen, dessen Mutter aus Ghana stammt. Doch sie und ihre Kollegin versuchen berufliche Distanz beizubehalten: "Die brauchen wir auch, bei all dem, was wir so erleben." Die meisten Flüchtlinge zeigen dennoch ihre Dankbarkeit auf ihre Weise und Dorothea Weimann ist überzeugt: "Die Menschen vertrauen uns zunächst, weil ihnen ja nichts übrig bleibt, aber es entwickelt sich eben doch eine echte Basis."
Kontakt:
Dorothea Weimann
Caritas-Regionalzentrum Anklam
Friedländer Straße 43
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Telefon: 03971 / 20 35-0
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