„Stille Nacht“ im Frühling
"Mein Fritz, das war ein guter Mann", sagt Maria Händel (Name geändert). Die 96-Jährige freut sich darauf, ihn wiederzusehen - "im Himmel". Maria Händel ahnt, dass sie bald sterben wird. Im letzten Jahr hat sie noch ein paar Geranien im Garten des katholischen St. Anna Altenheims in Essen-Altendorf gepflanzt, denn das Gärtnern war ihre große Leidenschaft. Jetzt ist sie zu schwach aufzustehen. Sie liegt im Bett, Roswitha Waschke aus dem Team des St. Anna Heims hört ihr zu, hält dabei die Hand der alten Dame. "Körperlicher Kontakt ist sehr wichtig für die Menschen. Das gibt ihnen das Gefühl, nicht allein zu sein", weiß die ausgebildete Krankenschwester. Bereits seit 2005 arbeitet sie als Koordinatorin für Palliativpflege im St. Anna.
Das Haus ist ein Vorreiter. Es hat schon vor zehn Jahren eine Stelle eingerichtet, die die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin erst kürzlich für alle Altenheime einforderte. "Dieser Bereich wird immer wichtiger. Pflegeeinrichtungen müssen sich verstärkt darauf einstellen, Heimbewohner in der letzten Lebensphase zu begleiten", sagt Andreas Meiwes, der Direktor der Caritas für das Bistum Essen. Während die Republik über Sterbehilfe nachdenkt, stärkt die Caritas mit zwei Projekten die Begleitung Sterbender in ihren 63 Altenheimen. Mit einem Beratungsangebot für Pflegekräfte will sie die Rahmenbedingungen dafür optimieren (s. Infos).
Palliative Versorgung statt Wunsch nach Sterbehilfe
"Wir versuchen, ihnen die letzten Wochen und Tage zu erleichtern. Sie sollen am Ende möglichst ohne Schmerzen, würdevoll und in vertrauter Umgebung leben können", so fasst Roswitha Waschke ihre Aufgabe zusammen. Eine gute palliative Versorgung, davon ist die Expertin überzeugt, macht den Wunsch nach Sterbehilfe weitgehend überflüssig: "Die Menschen haben gar nicht so sehr Angst vor dem Tod, sondern vielmehr vor einem qualvollen Sterben, etwa durch Ersticken". Schmerzen und Übelkeit können die Palliativmediziner mit Medikamenten behandeln. Menschliche Zuwendung hilft den Schwerkranken seelisch, gibt ihnen ein Gefühl der Geborgenheit.
Der Tod gehört zum Alltag im Altenheim. Im Durchschnitt leben die Bewohner knapp neun Monate im St. Anna Heim, beinahe jeden Tag stirbt einer von ihnen. Roswitha Waschke arbeitet mit Pflegern und Hausärzten, mit ehrenamtlichen Betreuern, mit Seelsorgern und Angehörigen zusammen. Sie gibt Mitarbeitern Hilfestellung, mit dem Tod der Bewohner umzugehen, führt Gespräche mit Angehörigen, erinnert an die Verstorbenen in einem Abschiedsbuch.
Katzen und verlorene Söhne
Wenn es einem der 115 Bewohner des Heims schlecht geht, was oft schon beim morgendlichen Blick ins Pflegeprotokoll zu erkennen ist, schaut die Palliativ-Koordinatorin, wie sie dem Patienten helfen kann. Sie stellt die medizinische Versorgung sicher, versucht dabei, in Absprache mit dem Arzt dem Schwerstkranken eine unnötige Einweisung in die Klinik zu ersparen. "Eine Antibiotika-Therapie können wir auch im Haus durchführen. Ein Krankenhausaufenthalt belastet die alten Menschen, vor allem die dementen, nur zusätzlich".
Manchmal stellt sie Kontakt zum verlorenen Sohn her, den die alte Mutter noch einmal sehen möchte, und besorgt sogar eine Katze, wenn dies der sehnliche Wunsch eines Bewohners ist. Die meisten Menschen spüren, dass sie bald sterben werden, auch wenn sie dies nicht äußern, davon ist Roswitha Waschke überzeugt. Der Lebenswille schwindet, die Kraft lässt nach. Wenn jemand die Nahrung verweigert und seine Medikamente nicht mehr einnehmen will, akzeptieren dies die Pfleger. Eine Patientenverfügung, in der festgelegt wird, ob lebensverlängernde Maßnahmen angewandt werden sollen oder nicht, ist dabei sehr hilfreich.
Beten, singen, ruhig sein
Neben dem organisatorischen Part am Schreibtisch verbringt Roswitha Waschke viel Zeit bei den Schwerkranken. Sie betet mit ihnen, singt ihnen etwas vor. Das kann auch "Stille Nacht" mitten im Frühling sein. "Viele Menschen mögen dieses Lied, sie werden ganz ruhig dabei." Mit warmen Waschungen oder einer leichten Fußmassage versucht die Palliativ-Expertin die Menschen zu entspannen, auch eine Aromatherapie wird manchmal als wohltuend empfunden.
Roswitha Waschke pflegt Kontakte zu ehrenamtlichen Betreuern aus der Gemeinde. Sie spielen eine wichtige Rolle, vor allem für die zunehmende Zahl von Menschen, die keine Angehörigen haben. Manche Ehrenamtliche kommen seit Jahren. Sie besuchen Bewohner, denen es zunehmend schlechter geht. Die Helfer aus der Gemeinde bringen die Zeit mit, die den Pflegern im Stationsalltag fehlt. "Es bleibt oft nur Zeit für Kurzkontakte. Eine intensive palliative Betreuung ist sehr aufwändig, leider wird das von den Kassen nicht entsprechend honoriert", bedauert die Palliativ-Beauftragte. Dabei haben Schwerstkranke seit 2007 einen rechtlichen Anspruch auf eine Palliativ-Versorgung.
In all den Jahren hat Roswitha Waschke erlebt, dass eine gute soziale Betreuung am Ende des Lebens das Sterben erleichtert. Im Unterbewusstsein wollen viele Menschen sterben, so ihr Eindruck. In Ruhe gehen können, so will es auch Maria Händel. Denn sie ist fest davon überzeugt, dass ihr Fritz schon auf sie wartet.
Infos: Caritas prüft palliative Qualität in Altenheimen
Seit Januar analysiert die Caritas bereits bestehende Kulturen des Umgangs mit Menschen in der letzten Lebensphase in ihren Altenheimen. Das Projekt, an dem sich 15 Einrichtungen der Altenhilfe im Bistum Essen beteiligen, wird vom Fachbereich Pflege und Gesundheit der Fachhochschule Münster begleitet. Über die Ergebnisse berichtet Sozialcourage in der nächsten Ausgabe.
Caritas bietet Altenheimen Beratung
Mit dem Projekt "Wie können Hospizkultur und Palliativversorgung in der stationären Altenhilfe gelebt werden?" hat die Caritas ein Beratungsangebot für Pflegeeinrichtungen gestartet. Das Ziel: Die Rahmenbedingungen für Sterbebegleitung und Palliativ-Versorgung in Altenheimen optimieren. Die Caritas will gemeinsam mit den Einrichtungen passgenaue Konzepte entwickeln. Unter dem Titel "Sterben in Würde" diskutierten dazu Mitte April an einem Fachtag für Ehren- und Hauptamtliche Experten bei und mit der Ruhrcaritas das Thema Sterbebegleitung. Der Fachtag war Teil der ökumenischen "Woche für das Leben".
63 Altenheime für 10.000 Menschen
Im Netzwerk der Altenhilfe der Caritas im Bistum Essen arbeiten
63 Altenheime, zwölf Tagespflege-Einrichtungen und acht Kurzzeitpflege-Einrichtungen, die ca. 10.000 Menschen begleiten und versorgen.
Inhaltliche Rückfragen beantworten:
Marion Louven, wirtschaftliche Einrichtungsberatung,
Tel. 0201/ 81028 137, marion.louven@caritas-essen.de
Frank Krursel, ambulante Pflegedienste & palliative Versorgung, Tel. 0201 /81028 121, frank.krursel@caritas-essen.de