In Rickenbach können Flüchtlinge sich willkommen fühlen
Eigentlich sind es eher Touristen, die den Weg nach Rickenbach finden, den knapp 4000 Einwohner zählenden Luftkurort im Hotzenwald, der auch die Sonnenterrasse des südlichen Schwarzwalds genannt wird. Seit Januar 2014 aber hat es 60 Menschen hierher verschlagen, die keineswegs zum Vergnügen ihre Koffer gepackt haben. Aus Syrien oder anderen Kriegsgegenden sind sie vor den Bedrohungen für Leib und Leben geflohen. In Rickenbach sind sie vorerst in Sicherheit.
Wie alle Kommunen und Landkreise in Deutschland sucht auch der Kreis Waldshut händeringend nach Unterkünften für die rasant steigende Zahl von Flüchtlingen, die ihm zugewiesen werden. Am Ortsrand von Rickenbach stand ein ehemaliges Caritas-Kinderheim leer, das die Caritas-Stiftung St. Fridolin dem Landkreis als Gemeinschaftsunterkunft für die Flüchtlinge vermietete - mit der Vereinbarung, dass für eine gute Begleitung der Neuankömmlinge gesorgt werden solle. Die Regelversorgung durch den Landkreis, der wenige Stunden in der Woche eine Sozialarbeiterin für die 60 Flüchtlinge schickt, wird ergänzt durch einen ehrenamtlichen Flüchtlingshelferkreis. Rekrutiert hat ihn Anneli Ahnert. Die 52-jährige Diplompädagogin vom Caritasverband Hochrhein ist für die hauptamtliche Begleitung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig und traf in Rickenbach auf offene Augen und Ohren. "Es gab keinerlei Stimmungsmache. Das habe ich schon anders erlebt." Das mag auch zusammenhängen mit dem vom Landkreis eingerichteten runden Tisch für alle möglichen Einrichtungen und Institutionen. Er sorgt für Transparenz und regelmäßigen Austausch. "Es war ganz einfach, Ehrenamtliche für die Begleitung der Flüchtlinge zu finden", erinnert sich Ahnert an die Anfänge. Nach einem Informationsabend über "Flucht und Asyl" in einem voll besetzten Raum hätten sich spontan 23 Menschen gemeldet, die sich engagieren wollten. Mittlerweile sind sie schon 30 im Kreis der Helfenden. Sie sind zwischen 14 und weit über 70 Jahre alt. Es klingt wie im Märchen, wenn Ahnert erzählt, wie sie den Flüchtlingen das Gefühl vermitteln, in ihrem Ort willkommen zu sein. Die Einheimischen lassen sich viel einfallen, damit sie Fuß fassen können in der fremden Welt. Auch wenn Rückschläge, wie sie einräumt, nicht ausbleiben und zuweilen Geduld und langer Atem gefordert seien im Umgang mit anderen Kulturen und Mentalitäten.
Gute Nachbarn helfen sich
Eine Lehrerin, die weltweit an Goethe-Instituten Sprachkurse gegeben hatte, bietet nun Deutschkurse für die Flüchtlinge an. Gelegentlich öffne sie ihren Unterricht für alle Interessierten. Einmal habe sie wegen der Heuernte auf dem Selbstversorgerhof, den sie mit ihrem Partner bewirtschafte, den Unterricht verschieben müssen. "Als gute Nachbarn unterstützen viele Flüchtlinge sie jetzt auf dem Hof ", berichtet Ahnert. Eine andere Lehrerin, die sieben junge syrische Flüchtlinge unterrichtet, sei von deren Wissbegier und Höflichkeit so begeistert, dass sie "am liebsten alle adoptieren" würde.
Für einen vertrauensvollen Umgang spricht, dass sie während ihres Urlaubs ihr Haus von ihnen hüten ließ. Insgesamt haben sich fünf Frauen und Männer dem Deutschunterricht verschrieben. Anneli Ahnert hat ihnen eine Schulung für Deutsch als Fremdsprache angeboten. Die örtliche Schule öffnet nachmittags ihre Klassenräume und erlaubt sogar die Nutzung der Computer. Damit auch zwei junge alleinerziehende afrikanische Mütter am Deutschunterricht teilnehmen können, sorgen Familienpaten währenddessen für die Kinderbetreuung. In den Klassen wurden Spielzeug und Kinderkleidung für die Flüchtlinge gesammelt.
Auch für Freizeitangebote ist gesorgt. Abends wird die Turnhalle der Schule geöffnet: Jung und Alt, Männer und Frauen haben Gelegenheit, sich auszutoben. Besonders die jungen Männer nutzen laut Ahnert gerne den Fitnessraum, der mit gespendeten Geräten eingerichtet worden sei. Vier Flüchtlinge trainieren inzwischen regelmäßig im örtlichen Fußballverein. Sie bekamen Spielerausweise und die passende Sportbekleidung. Weil ein Großteil der Mieteinnahmen aus der Gemeinschaftsunterkunft von der Caritasstiftung für Projekte mit den Flüchtlingen abgezweigt wird, können Lehrmaterial, Fußballausstattung oder Pflanzen und Samen für den Garten angeschafft werden.
Ein Rickenbacher Bürger nämlich hat einen Teil seines riesigen Grundstücks den Flüchtlingen zur Bearbeitung überlassen. Vier Männer und ein ehrenamtliches Rentnerpaar beackern ihn und haben sogar zwei kleine einfache Gewächshäuser gebaut. Der Ertrag kann sich offenbar sehen lassen. Anneli Ahnert staunt über die vielen Salate, Zucchini und Tomaten, die dort inzwischen geerntet werden. "Sie bringen alles mit in die Küche der Gemeinschaftsunterkunft, und jeder kann sich bedienen."
So geht Willkommenskultur
Die aus Sachsen stammende Diplompädagogin gehörte selbst zu jenen, die 1989 aus der DDR über Ungarn in den Westen flüchteten. Das fördert die Empathie mit den Flüchtlingen aus Afrika, Syrien oder Afghanistan. "Gott sei Dank", sagt sie, "gibt es die unsäglichen Sachmittel nicht mehr." Die Neubürger können, was sie brauchen, selber einkaufen in den örtlichen Geschäften, zumal der Gesetzgeber ihre Unterstützung der von Hartz-IV-Empfängern angepasst hat. Weil sich damit aber keine großen Sprünge machen lassen, sind die Ehrenamtlichen auch zur Stelle, wenn es darum geht, Flüchtlinge zur entfernten Moschee zu fahren oder zu einem Metzger, bei dem es geschächtetes Fleisch gibt. Der 84-jährige Seniorchef des örtlichen Edeka-Markts, der auch Mitglied im Helferkreis ist, habe die Mitarbeiter angewiesen, die Flüchtlinge auf günstige Produkte aufmerksam zu machen und begrüße jeden persönlich, wenn er gerade im Laden sei. Aber nicht nur als Wirtschaftsfaktor werden die Menschen geschätzt: 60 Mitbewohner auf einen Streich füllen, zum Beispiel, Schulklassen und Kitas in den von Schrumpfung bedrohten ländlichen Regionen.
Bleiben werden sie allerdings nur, bis über ihren Asylantrag entschieden ist. Die syrischen Flüchtlinge, meint Ahnert, könnten auf jeden Fall mit einer schnellen Anerkennung rechnen. Viele Ehrenamtliche leisteten schon Vorarbeit für die Zeit danach: zum Beispiel für die Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse sorgen. Vom Sportlehrer bis zum IT-Manager seien "sehr gebildete junge Männer" unter den Flüchtlingen. Am liebsten würden die Rickenbacher sie im Ort halten. Aber bei dem Mann mit dem Kapitänspatent dürfte das auf knapp 1000 Meter Höhe schwierig werden ….
Kontakt: Anneli Ahnert, Caritas Hochrhein, Stabsstelle Freiwilligen-Engagement/Gemeindecaritas, Telefon 07761/569 837, www.caritas-hochrhein.de