Flucht aus Armut und Ausgrenzung
Ohne große Emotion, aber doch so bestimmt, dass alsbald klar wird: Mit dieser Ziffern-Wort-Folge verbindet die 36-jährige Rumänin Hoffnung auf ein besseres Leben als das, was sie mit ihrer Familie bisher in Bukarest führen musste.
Es ist das Datum ihrer Einreise nach Deutschland. Deutschland als gelobtes Land. „Wegen der Kinder sind wir aus Rumänien weggegangen. Sie sollen es besser haben“, sagt sie. Denn eine gute Zukunft hätte es für sie in der alten Heimat nicht gegeben. Mihaela und ihr Mann Pardalian, 46 Jahre alt, haben gespart. Mit 6000 Euro, ihren vier Kindern, ohne Deutschkenntnisse, dafür umso mehr Hoffnung reisen sie ein.
Mihaela weiß genau, dass, wenn dieses Geld weg ist, und keiner aus der Familie Arbeit gefunden hat, das Leben fast noch ungewisser wird als in der alten Heimat. Dass dann der Traum vom besseren Leben zerplatzen wird. Dass die Ausreise wahrscheinlich ist.
Die Einreise aus Rumänien nach Deutschland ist kein Problem, es erfolgt die Meldung bei der Ausländerbehörde, die dann nach drei Monaten wissen möchte: Von welchem Geld lebt die Familie? Wo ist Arbeitsbestätigung oder Gewerbeschein? Nur wenn solche Dokumente vorliegen, haben die Menschen Anspruch auf weitere Hilfen – und ein Bleiberecht.
Derzeit erhalten die Calins Kindergeld für ihre vier Kinder, 18, 14, 7 und 5 Jahre alt. Sie haben keine Krankenversicherung, erhalten keine Grundsicherung. Mihaela bleibt dabei: Das ist die richtige Entscheidung. In großer Armut und Unsicherheit in Deutschland ist es immer noch besser als in Rumänien. „Ich konnte nicht mehr dort leben. Es war so schwer.“ Deutschland sei geordnet: „Alle kennen die Regeln.“ Ausgrenzung, Vorurteile habe sie bisher kaum erfahren. „Wir fühlen uns wohl hier“, sagt sie sogar in einem Moment, da das Ersparte nahezu aufgebraucht, Arbeit nicht in Sicht ist. „Die Kinder wollen nie wieder zurück. Dann war es doch genau richtig.“
Demut und Gottvertrauen sind es, die die in sich gekehrte Frau tragen. „Gott wird uns helfen“, sagt sie mit sicherer Stimme. Wie bleibt sie so ruhig angesichts totaler Unsicherheit? „Das ist meine Geschichte. Ich bin es gewohnt, mit Stress umzugehen.“ Und zieht den Brief der Ausländerbehörde aus der Tasche, der die Familie auffordert, Einkommensnachweise beizubringen.
Geschrieben in reinem Amtsdeutsch. Verstehen kann sie den Brief nicht. Ebenso wenig wie das, was der Beamte ihr erzählen wird. So ist sie dankbar für die Hilfe des Caritasverbandes Hagen. Über das Projekt „Willkommen in Hagen“, Informationsveranstaltungen für Zugewanderte aus Bulgarien und Rumänien, das die Integrationsagentur initiiert hat, ist sie in Kontakt mit Auora Bauernfeind gekommen. Die Lehrerin stammt aus Rumänien, ist vor einigen Jahren mit ihrem deutschen Mann aus Bukarest nach Hagen gekommen und engagiert sich in der Begleitung der Zugewanderten. Jetzt übersetzt sie den Brief, verspricht, Frau Calin zum Amt zu begleiten.
Wie geht es weiter? Wieder bleibt Mihaela Calin ganz ruhig. „Ich habe keine Ahnung.“ Und doch trägt sie Hoffnung in sich. „Es ist für die Kinder. Es soll ihnen besser gehen als uns.“
„Wir brauchen eine Willkommenskultur“
Caritas Hagen kritisiert Generalverdacht gegen Bulgaren und Rumänen
Für das Projekt „Willkommen in Hagen“, das eingewanderten Bulgaren und Rumänen im Rahmen von Informationsveranstaltungen Unterstützung anbietet, ist Susanne Kaiser vom Caritasverband Hagen zuständig. Im Interview gibt sie Auskunft über die Gedanken hinter dem Projekt.
Frau Kaiser, welche Idee steckt hinter dem Projekt „Willkommen in Hagen – Informationsveranstaltungen für Zugewanderte aus Bulgarien und Rumänien“?
Susanne Kaiser: Wir brauchen in Deutschland eine Willkommenskultur. Vor allem den Menschen gegenüber, die aus Bulgarien und Rumänien zu uns kommen dürfen, da ihnen oft der Generalverdacht des Betruges unterstellt wird. Denn unsere Gesellschaft braucht aufgrund der veränderten Altersstruktur Familien mit Kindern. Kommen sie zu uns, müssen sie das Gefühl haben, erwünscht zu sein.
Um was geht es im Projekt?
Susanne Kaiser: Wir heißen die Zuwanderer im wahrsten Sinne des Wortes willkommen. Erklären ihnen die formalen Abläufe. Wo sie sich melden müssen, welche Voraussetzungen es gibt, um staatliche Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Die liegen sehr hoch, man muss mindestens einen Minijob vorweisen können. Kindergeld dagegen gibt es für die Kinder in jedem Fall. Das Projekt wird über dieses Jahr hinaus verlängert, da der Caritasverband in Hagen als einziger Verband ein derartiges Angebot hat.
Schlüssel zur Integration ist die Sprache.
Susanne Kaiser: Das ist auch in diesen Fällen zumeist so. Die Zuwanderer müssen Deutsch lernen, um arbeiten zu können, um sich zu integrieren. Deshalb wollen wir für die Gruppe der Menschen aus Bulgarien und Rumänien einen Sprachkursus anbieten. Die Integrationssprachkurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge müssten sie selber bezahlen. Das können sie aber nicht, die meisten leben von Ersparnissen, kommen ohne Krankenversicherung. Da ist die Gefahr, dass sie an Leute geraten, die ihre Bedürftigkeit ausnutzen, sehr groß. Auch davor warnen wir in unseren Veranstaltungen.
Interview: Christine Lanwehr