Gewalt vorbeugen
"Mich hat erschreckt, welche krassen Fälle es bei häuslicher Gewalt gibt.“ „Ich wusste nicht, wie breit das Phänomen ist.“ „Für mich war der Spannungsbogen interessant, mit dem wir uns schrittweise dem Thema genähert haben.“
Stimmen von Schülerinnen und Schülern am Ende eines Projekttages zum Thema „Prävention von häuslicher Gewalt“ (PräGe). Diesen haben Vera Schoen und Antje Rössler vom Caritas-Frauenhaus nach einem Konzept des Sozialdienstes katholischer Frauen – Landesverband Bayern in der elften Klasse der Fachoberschule (FOS) Ingolstadt durchgeführt. Vier Schulstunden ist es um die Problematik gegangen, mit der die Caritas-Mitarbeiterinnen immer wieder konfrontiert werden. „Zu uns kommen Frauen mit gebrochenem Jochbein, büschelweise ausgerissenen Haaren, Nierenblutungen oder auf dem Unterarm ausgedrückten Zigaretten. Das sind keine Storys aus Hollywood, sondern ist Realität bei uns“, nimmt Antje Rössler im Gespräch mit den 17- bis 21-jährigen Menschen kein Blatt vor den Mund. „Dabei sind für viele körperliche Gewalttaten noch nicht einmal das Schlimmste, sondern die Demütigungen, die damit verbunden sind“, deutet ihre Kollegin Vera Schoen an, wie umfassend häusliche Gewalt ist. Denn dazu gehören nicht nur körperliche und sexualisierte Gewalt durch den Partner – von der laut dem Bundesfamilienministerium jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben betroffen ist. Auch seelische, ökonomische und soziale Gewalt verursachen Leid. Um soziale Gewalt handelt es sich zum Beispiel, wenn ein Mann seiner Frau verbietet, das Haus außer zum Einkaufen zu verlassen.
Über Traummann und -frau
Die jungen Menschen steigen beim Projekttag mit einer netten Übung ein: Anhand von Fotos aus Zeitschriften sollen sie sich ihren Traummann und ihre Traumfrau oder auch ihre Traumfamilie aussuchen. Dabei ist natürlich ein Bild von Manuel Neuer begehrt, doch ein junger Mann sucht auch ein Familienbild aus, „weil man hier den Zusammenhalt spürt“. In zwei geschlechterspezifischen Gruppen ordnen die Schülerinnen und Schüler ihren Traumpersonen dann Eigenschaften und Werte zu, die ihnen wichtig erscheinen. Dass bei den Männern am Ende Begriffe wie Treue und Geborgenheit solche wie schöne Lippen überwiegen und „große Brüste“ ganz vermieden werden, bezeichnet eine Schülerin zwar als unglaubwürdig. Einig sind sich alle aber darin, dass für eine Beziehung „das Gesamtpaket von Charakter und Aussehen“ stimmen müsse. „Und eine Beziehung mit allen ihren Höhen und Tiefen verlangt viel Arbeit von beiden“, leitet Vera Schoen die nächste Übung ein, mit der sich die Klasse schon einen guten Schritt dem Problem „häusliche Gewalt“ nähert: Sie sollen sich darüber klarwerden, bis zu welcher Grenze sie in einer Partnerschaft gehen. Es zeigt sich: Einem Schüler ginge es beispielsweise zu weit, wenn die Freundin ihm verbieten möchte, zum Fußball zu gehen, statt Zeit mit ihr zu verbringen. Eine Schülerin legt die Grenze dort fest, wo ihr Freund ihr untersagen will, sich mit anderen Schulfreunden zu treffen. Vera Schoen rät den Teilnehmenden, in solchen Situationen klar Position gegenüber dem Partner zu beziehen. „Denn erfolgen solche Grenzsetzungen nicht frühzeitig, besteht die Gefahr, dass der andere bald über einen verfügt und sich dann eine Spirale der Gewalt aufbauen kann“, warnt sie.
Die Caritas-Mitarbeiterinnen informieren an dem Projekttag darüber hinaus über das Gewaltschutzgesetz, die Arbeit des Frauenhauses und das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter 08000 116 016. Der 20-jährige Nicolas Baboulis meint nach dem außergewöhnlichen Schultag, er wissen nun, dass er von häuslicher Gewalt Betroffenen zum Beispiel das Frauenhaus weiterempfehlen kann. Er ist zudem dafür sensibilisiert worden, dass man bei Beziehungsproblemen „nicht aus dem Affekt reagiert, sondern versucht, mit dem anderen zu reden, um die Probleme aus der Welt zu räumen“.
Bereits 700 Schüler erreicht
Inzwischen haben Frauenhaus-Mitarbeiterinnen innerhalb von eineinhalb Jahren Projekttage in rund 40 Schulklassen für etwa 700 Schülerinnen und Schüler gestaltet – von der siebten bis zur zwölften Klasse in nahezu allen Schultypen. Sie hoffen, dass die zunächst bis Juli 2015 durch die Caritas und die Frauen des Soroptimist International Ingolstadt finanziell gesicherte Initiative „PräGe“ ein dauerhaftes Präventionsprojekt wird.
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