Jesus würde in den Cari-Treff gehen
Das Wohnzimmer der Gemeinde St. Josef liegt direkt neben dem Rathaus, zentral in der Innenstadt. Es ist 250 Quadratmeter groß, hat ein Café mit liebevoll dekorierten Tischen und im hinteren Teil das Ladenlokal mit Secondhandkleidung. Arme, Reiche, Junge, Alte, Kranke, Gesunde, Christen und Muslime kommen hierher. Die eine, weil sie ein Dirndl für eine Theateraufführung sucht. Die andere, weil sie Schuhe für ihre Kinder braucht. Der Nächste, um sich dort mit Freunden auf einen Kaffee für 50 Cent zu treffen. Wieder andere, weil es hier freundliche Worte und offene Ohren gibt.
Josef Müller (Name geändert) schaut regelmäßig vorbei. "Mal gucken, was es Neues gibt", sagt er. Der 50-jährige Ingenieur ist an Multipler Sklerose erkrankt. Arbeiten? Ist nicht mehr. Im Cari-Treff trinkt er mit Freunden einen Kaffee, plaudert über Gott und die Welt. In die Kirche geht er nicht. "Ich spreche so mit dem lieben Gott", sagt er.
Auch Güler Tekim (48) kommt jede Woche her. Die Türkin stöbert im Secondhandladen nach T-Shirts und Hosen für ihre drei Kinder. "Mein Mann ist krank", sagt sie in gebrochenem Deutsch. Manchmal setzt sich die Muslimin auch mit ihren Freundinnen zum Tee zusammen. Sie weiß, dass der Laden "irgendwas mit Kirche und Caritas zu tun hat". Trotzdem fühlt sie sich wohl. Und das ist das, was wirklich zählt. Es ist die Grundidee des Cari-Treffs.
Uneitle Querdenker hatten die Idee zum Cari-Treff
"Kirche ist dort, wo Menschen sich begegnen", sagt Hans-Peter Niedzwiedz, einer der Begründer des Cari-Treffs. Die Kirchengemeinde St. Josef und der Caritasverband Moers-Xanten machen für ihn seit sechs Jahren gemeinsame Sache. Erfolgreich. Rund 500 Menschen kommen jede Woche in das Café mit Secondhandshop und Beratungsangeboten. Das Bistum Münster lobt den Cari-Treff als Leuchtturmprojekt und präsentiert ihn auf Seminaren wie jüngst zum Thema "Leben in Fülle".
Seine Entstehung verdankt der Cari-Treff der Initiative zweier uneitler Querdenker: Niedzwiedz, im Jahr 2008 Pastoralreferent von St. Josef, und Henric Peeters, Geschäftsführer des Caritasverbandes Moers-Xanten. Niedzwiedz ist heute Vorsitzender des Verbandes, damals war er bereits im Vorstand aktiv. Sie kannten sich, sie schätzen sich. Für beide sind Kirche und Caritas zwei Seiten einer Medaille. Der gemeinsame Nenner: die Nächstenliebe.
"In der Praxis driften Kirche und Caritas oft auseinander", sagt Peeters. "Die Gemeinden ziehen sich aus caritativen Aufgaben zurück und sagen: Lass das mal die Profis machen." Bei der Caritas wiederum gerate der christliche Hintergrund ins Hintertreffen. In Kamp-Lintfort aber funktioniert das Zusammenspiel: "Wo Caritas draufsteht, muss auch Kirche drin sein. Wir stricken gemeinsam das Netz der dienenden Kirche", sagen Niedzwiedz und Peeters.
Zeche dicht, Handyfirma fort
Dabei hat Kamp-Lintfort nicht die besten Startvoraussetzungen für ein christliches Gemeinwesen. Nicht nur Pessimisten würden dieses Glas als halbleer betrachten: Das ehemalige Bergbaustädtchen am Niederrhein ist nicht als Gewinner aus Strukturwandel und Globalisierung hervorgegangen.
Die Zeche Friedrich Heinrich, einstmals Arbeitgeber für mehrere Tausend Bergleute, wurde 2012 dichtgemacht. Siemens und später BenQ bauten dort ihre Handys, bis sie die Produktion ins günstigere Ausland verlagerten. Geblieben ist der ehrenwerte Ruf, Kloster- und Hochschulstadt mit einem Institut der Universität Duisburg-Essen zu sein, was weder viel Arbeit noch Gewerbesteuer bringt. Geblieben ist auch ein überproportional hoher Anteil an Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern, Senioren, Migranten und Alleinerziehenden. In der wirtschaftlich und sozial tristen Großwetterlage machten sich im Jahr 2004 die sechs katholischen Pfarrgemeinden der Stadt auf den Weg zur Fusion.
Ein gewaltiger Schritt! Und keiner für Pessimisten. Alte Einrichtungen mussten aufgegeben werden, auch die Kleiderstube im Keller von St. Marien. "Es gab viele Ängste, aber wir haben gesagt: Wir gehen nach vorn. Wir nutzen die Fusion als Chance", erinnert sich Niedzwiedz, der als Pastoralreferent inzwischen in den Ruhestand gegangen ist. Statt des Kleiderkellers wollte die Gemeinde einen Ort der Begegnung schaffen. Das war der Anfang vom Cari-Treff.
Alles kann, nichts muss
Längst ist der Cari-Treff von seinen Gründern unabhängig. "Es geht ohne uns. Dafür haben wir Organisationsstrukturen aufgebaut", sagt Niedzwiedz. In der Gemeinde gibt es den Sachausschuss "Caritas und Soziales". Fragen der Zusammenarbeit werden dort behandelt. Für die strategischen Fragen im Cari-Treff gibt es eine Steuerungsgruppe unter Federführung eines Caritas-Hauptamtlichen, und schließlich findet alle paar Wochen die Ladenkonferenz statt. Sie regelt Organisatorisches vom Kaffeepreis bis zu den Dienstplänen. In beiden Gremien kommen die Ehrenamtlichen zu Wort.
Überhaupt sind die Ehrenamtlichen die tragende Säule im System Cari-Treff. Ihre Wertschätzung und Kompetenz sind im Leitbild von St. Josef verankert. Auch deshalb arbeiten die Koreanerin Sim Jung-Le (68) - meist einfach Silvia genannt - und Lydia Schriever (62) gern hier. Während Silvia zwischen den Kleidern hin- und herwuselt, hilft Schriever am Tresen. Die Moerserin war Vorstandssekretärin bei einer Bank, bis eine Depression sie aus der Bahn warf. Über den Integrationsfachdienst der Caritas kam sie zum Cari-Treff. "Ich bin super-happy. Die Gespräche tun mir gut, die Atmosphäre ist schön."
Kleine Dinge, die im Cari-Treff anrühren: "Einmal kam eine Frau herein und sagte: ,Ich habe gehört, mit Ihnen kann man reden.‘ Und es gibt Leute, die treffen sich hier, um ihren Geburtstag zu feiern", erzählt Niedzwiedz. Alles kann, nichts muss. Wie im eigenen Wohnzimmer.