„EINEN EINZIGEN FREIWILLIGENDIENST HIELTE ICH FÜR BESSER“
man trifft sie seltener, die jungen Männer, die in Behinderteneinrichtungen mitarbeiten, alten Menschen mittags ihr warmes Essen bringen oder einen Krankenwagen fahren. Denn mit der Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht in diesem Jahr ist auch der Zivildienst erst einmal weggefallen. Als Ersatz hat die Bundesregierung zum 1. Juli dieses Jahres den Bundesfreiwilligendienst eingeführt. Im Interview äußert sich Diözesancaritasdirektor Thomas Domnick über die Vor- und Nachteile des neuen Freiwilligendienstes.
Sozialcourage: Ist der Bundesfreiwilligendienst (BFD) ein adäquater Ersatz für den Zivildienst?
Thomas Domnick: Ich würde den BFD nicht als Ersatz für den Zivildienst bezeichnen. Er ist ein eigenständiger Dienst, der entwickelt und gestaltet werden muss. Ziel wäre für mich ein profilierter Freiwilligendienst für alle Altersklassen, der von allen Bevölkerungsschichten getragen wird.
Sozialcourage: Was bedeutete die Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes für die Einrichtungen der Caritas im Bistum Mainz?
Domnick: Durch die Verkürzung des Zivildienstes auf neun und dann auf sechs Monate und durch unregelmäßige Anschlussbesetzungen haben sich unsere Einrichtungen schon vor der Aussetzung des Zivildienstes langsam "entwöhnt" und nach alternativen Lösungen gesucht - beispielsweise 400 Euro-Kräfte, Praktikanten oder Ehrenamtliche. Außerdem wurden mit den Zivis zunehmend nur noch Stellen besetzt, wo eine schnelle Einarbeitung möglich war.
Sozialcourage: Probleme gab es keine?
Domnick: Doch, auch. Es mussten Leistungen wie zum Beispiel "Essen auf Rädern" oder Besuchsdienste eingeschränkt werden. Insbesondere bei den technischen Diensten, den Hol- und Bringdiensten und den Fahrdiensten wurde das Fehlen der jungen Männer von den Einrichtungen als schmerzlich empfunden. Vor diesem Hintergrund ist die Klage der Rettungsverbände mit ihren Fahrdiensten nur allzu verständlich. Allerdings: Auch im Betreuungsbereich wie in Kindergärten, in Altenheimen oder Behindertenwerkstätten fehlt den Menschen die persönliche Ansprache durch "ihren" Zivi. Vieles wurde durch die bestehenden Ressourcen aufgefangen. Gerade für diesen Bereich bewerben wir den BFD aber verstärkt.
Sozialcourage: Also doch auch ein weinendes Auge?
Domnick: Der eigentliche, auch gesamtgesellschaftliche Verlust besteht darin, dass die wichtigen Erfahrungen, die junge Männer durch die Begegnung mit Menschen in anderen Lebenssituationen für ihr eigenes Leben sammeln konnten, verloren gehen. Ich nenne hier einmal die As pekte "Lebensfreude trotz Behinderung", "Umgang mit Endlichkeit und Tod" oder "Was es heißt, alt und gebrechlich zu werden". Auch ist es schwieriger, bei jungen Männern, die sich nicht auf einen freiwilligen Dienst einlassen, für Berufe bei Kirche und Caritas zu werben. Der Auf- und Ausbau des neuen Dienstes BFD hat neben dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) für uns als Caritas daher eine hohe Priorität.
Sozialcourage: Wie sind die Erfahrungen mit den ersten BFDlern bei der Caritas?
Domnick: Für die Caritas im Bistum Mainz arbeiten schon fast 50 BFDler, davon sind neun über 27 Jahre alt. Die ersten Erfahrungen sind überaus positiv, weil sich viele der jungen Menschen erstmals als Erwachsene erleben. Für sie ist der Dienst auch eine Zeit, um "mal etwas anderes zu machen", eine Zeit der Überbrückung oder der beruflichen Orientierung. Die älteren Freiwilligen nutzen den Dienst eher als Auszeit oder berufliche Neuorientierung - beispielsweise nach der Familienphase oder als Ruheständler.
Sozialcourage: Wie werden die BFDler betreut?
Domnick: Die fachliche Anleitung und Begleitung erfolgt in der Einrichtung und ergänzend dazu durch den Diözesancaritasverband, der für die pädagogische Begleitung verantwortlich ist. Es gibt 25 Bildungstage im Jahr, wo Reflexionen, aber auch Inputs zu sozialer Kompetenz, zur Persönlichkeitsbildung, zu politischer Bildung, zu fachlichen Fragen und zur Berufsorientierung angeboten werden. Die BFDler erhalten bei uns wie im FSJ 190 Euro Taschengeld und eine Verpflegungspauschale von 217 Euro und sind sozialversichert. Die Einrichtung entrichtet rund 170 Euro Sozialversicherungsbeiträge. Bei Kindergeldberechtigung erhalten die Freiwilligen auch noch 184 Euro Kindergeld.
Sozialcourage: Wo sehen Sie die Chancen des BFD?
Domnick: Den Dienst als solchen sehe ich als große Chance: Es ist wertvoll, sich bei guten Rahmenbedingungen für eine begrenzte Zeit freiwillig in einem sozialen Bereich zu engagieren. Dass der BFD gerade von Menschen aller Altersklassen gemacht werden kann, eröffnet viele Möglichkeiten für Ehrenamtliche, Eltern nach der Familienphase oder für Ruheständler, die vielleicht noch einmal etwas anderes ausprobieren möchten. Ich sehe aber auch eine Gefahr: Es werden schon jetzt Stimmen laut, dass langzeitarbeitslose Menschen einen solchen Dienst absolvieren sollen. Damit wird der Freiwilligendienst ad absurdum geführt und Betroffenen als Zwangsdienst auferlegt. Außerdem halte ich es für problematisch, dass durch die Aussetzung des Zivildienstes die Behördenstruktur des ehemaligen Bundesamtes für Zivildienst aufrecht erhalten wird. Die Folge: Die Träger der Einrichtungen, in denen die BFDler beschäftigt sind, haben zahlreiche Auflagen bei der Ausgestaltung des Dienstes zu erfüllen. So sind wir verpflichtet, mindestens zehn der 25 Bildungstage in Kooperation mit den Bundesschulen durchzuführen.
Sozialcourage: Besteht die Gefahr, dass BFD und FSJ gegeneinander ausgespielt werden?
Domnick: Der BFD wird derzeit in der Nachfolge des Zivildienstes als Bundesdienst etabliert, die gesamte Finanzierung läuft damit über einen eigenen Haushaltstitel. Mit dem neuen Dienst möchte sich natürlich auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder profilieren. Dies hat zur Folge, dass versucht wird, den BFD zu pushen. So wurde im Sommer die Förderung der FSJ-Stellen an die Besetzung der BFD-Stellen gekoppelt: Auf drei geförderte FSJ-Stellen sollten zwei besetzte BFD-Stellen kommen. Aufgrund zahlreicher Proteste, auch der Sozialminister der Länder, wurde die Umsetzung dieser Vorgabe auf das Frühjahr 2012 verschoben. Bis der neue Dienst bekannt und angenommen ist, wird es mit Sicherheit immer wieder zur Konkurrenz zwischen den Diensten kommen.
Sozialcourage: Wäre dann ein einziger allgemeiner Freiwilligendienst nicht viel sinnvoller?
Domnick: Einen einzigen Freiwilligendienst hielte ich auf jeden Fall für besser. Es ist nicht sinnvoll, die Strukturen für zwei Dienste nebeneinander zu unterhalten, die nahezu identisch sind. Diese Doppelstruktur kostet Geld, und für die Freiwilligen und die Einrichtungen muss auch immer wieder erläutert werden, worin sich die Dienste unterscheiden, und warum es zwei Dienste gibt. Ich glaube, dass es langfristig eine Zusammenführung der Dienste geben wird. Auch die Aufrechterhaltung der Struktur für einen Zivildienst, der bisher nur ausgesetzt ist, muss geklärt werden. Dies ist meines Erachtens eine Frage der Zeit, da mit der Klärung Geld eingespart werden würde.