Die Trauer von der Seele chatten
"Die Stellenanzeige war wie auf mich zugeschnitten. Das war einerseits mein Glück und andererseits mein Pech", erzählt die 27-jährige Anna Mölleken und fährt fort: "Glück deshalb, weil ich in der Arbeit beim Trauer-Chatroom www.doch-etwas-bleibt.de meine Berufung gefunden habe und Pech, weil ich unglücklicherweise die wichtigste aller Voraussetzungen erfüllte: Ich hatte eigene Trauererfahrungen gemacht." Im Jahr 2006 verstarb ihr Vater. Die Verzweiflung, Wut und Trauer, die Anna plötzlich empfand, konnte sie nicht in Worte fassen.
Zwei Jahre später wollte Anna nicht nur ihrer eigenen Trauer begegnen, sondern beim Trauer-Chatroom auch andere Menschen auf diesem harten Weg begleiten. Doch trotzdem war sie anfangs skeptisch. Die direkte Auseinandersetzung mit dem Tod ihres Vaters machte ihr Angst. Wollte Anna wirklich immer wieder an den Verlust erinnert werden? Und konnte sie stark genug sein, andere Menschen bei ihrer Trauer zu unterstützen? Die junge Frau konnte und beweist es mit den anderen elf Chatbegleitern seit dem Jahr 2008 jeden Montag von 20 bis 22 Uhr. Unterstützt werden die Jugendlichen von Romy Kohler vom Hospiz Bedburg-Bergheim e.V., die den Chat über den Tod ins Leben rief. "Als vor sechs Jahren mein 15-jähriger Sohn gestorben ist und ich feststellen musste, dass seine Freunde keinerlei Anlaufstelle hatten, gründete ich den Trauer-Chatroom."
Auf der Internetseite www.doch-etwas-bleibt.de bietet sie zusammen mit den jungen Erwachsenen die Möglichkeit des Austausches und der Unterstützung sowie Platz für alle Gedanken, Ängste und Erinnerungen. Neben dem Chat können sich Seitenbesucher unter Rubriken wie "Das hilft - das nervt" mitteilen: "Ich möchte nicht wie ein rohes Ei behandelt werden", schreibt eine Betroffene ehrlich. Eine andere gibt zu: "Für mich ist es das Beste, wenn jemand mich umarmt und sagt: ‚Ich hab dich lieb!‘" Mit Sprüchen in der Leiste "Kleine Helfer" sprechen sich die jungen Leute gegenseitig Mut zu, so schreibt ein Mädchen: "Das Leben ist wie Zeichnen ohne Radiergummi." Und Büchertipps, CD-Tipps sowie Weblinks geben Hilfestellung bei der Trauerbewältigung.
Einmal im Monat treffen sich die Chat-Begleiter zur Supervision, um eigene Trauererfahrungen zu reflektieren und sich ihrer Grenzen und Möglichkeiten bewusst zu werden. "Es bringt uns alle jedes Mal noch mehr zusammen und wir erzählen von den Gesprächen, die wir geführt haben", sagt Anna. Denn manchmal, wenn jemand so viel Schreckliches erlebt hat, dass man es gar nicht fassen kann, wenn man keine Worte mehr dafür findet, dann sei es wichtig mit seinen Gedanken nicht alleine zu sein.
Zwischen fünf und zehn Besucher treffen sich jeden Montag im virtuellen Gesprächskreis. Rund 150 Jugendliche haben sich dem Trauer-Chatroom schon insgesamt anvertraut. Auch wenn jeder eine andere Geschichte zu erzählen hat, oder auch auf ganz andere Art und Weise trauert, haben alle etwas gemeinsam: Sie wissen, wie es ist, wenn man sich ganz alleine fühlt, sie kennen das Gefühl der Ohnmacht. Doch eines wissen die ehrenamtlichen Chatbegleiter auch: Das Leben muss weitergehen und kann es auch. "Wir geben keine Wege vor, wie man mit Trauer umgehen soll. Wir begleiten unsere Chatroom-Gäste, wir hören ihnen zu und verstehen sie", erklärt Anna. Die Reaktionen der Trauernden sind dann das, was die Chatbegleiter neben Job, Schule und eigener Trauer am Arbeiten hält: "Wenn uns die Jugendlichen sagen, dass wir ihnen geholfen haben und sie zugeben die nächste Woche kaum noch erwarten zu können, das ist ein wunderbares Gefühl", verrät Anna. Denn genau das, sich auf die Zukunft freuen, das sei Leben!
Anna Bossy
Für die Begleitung des Chatrooms sucht das Team des Trauer-Chatrooms noch junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, die schon eigene Trauererfahrung gemacht haben und Lust haben, sich für mindestens ein Jahr ehrenamtlich zu engagieren. Mehr Informationen auf der Internetseite www.doch-etwas-bleibt.de und bei Romy Kohler unter der Telefonnummer: 02271- 45303 oder unter info@doch-etwas-bleibt.de