"Sucht entsteht in der Person"
Im Sommer 2010 brach Andreas Müller (Ende 40), der in Wirklichkeit anders heißt, psychisch zusammen und wurde ins Klinikum Ingolstadt eingeliefert. Herzrasen, Schlafstörungen, massive Depressionen und Suizidgedanken waren die Folge dessen, was ihn eigentlich glücklicher machen sollte: Glücksspiel am Geldspielautomaten. Dabei fing alles auch recht glücklich an: Als er vor zwei Jahren erstmals fünf Euro einwarf, gewann er sofort 500 Euro. Anschließend verlor er jedoch nach und nach mehr Geld beim vermeintlichen Glücksspiel. Als er seinen gesamten Lohn verspielt hatte, trennte sich seine Frau von ihm. Seine Wohnung konnte er nicht mehr bezahlen, Obdachlosigkeit drohte. Ein wirkliches Glück war es für ihn, dass ihn das Klinikum an die Caritas-Suchtambulanz in Ingolstadt vermittelte. Dort führte er mehrere Gespräche mit dem Sozialpädagogen Daniel Matasić. Ferner nahm er an der offenen Caritas-Selbsthilfegruppe Spielsüchtiger teil. Der offene Austausch, den Andreas Müller in der Gruppe mit Leidensgenossen hatte, verhinderte noch Schlimmeres. Gegenüber ihnen gab er zu, dass er seinem Arbeitgeber Geld entwendet hatte. Die Mitglieder der Gruppe gaben ihm den Rat, dies seinem Arbeitgeber einzugestehen und nach Wegen zu suchen, ihm dieses Geld zurückzuzahlen. So kam Andreas gerade noch einer Anzeige zuvor. Stattdessen behält der Arbeitgeber nun einen Teil seines monatlichen Gehalts ein. Daniel Matasić verhinderte unterdessen, dass der Spielsüchtige aus seiner Wohnung flog durch eine Vereinbarung mit dessen Vermieter. Der Caritasberater vermittelte Andreas in eine dreimonatige stationäre Entwöhnungsbehandlung. „Vor kurzem kam es bei ihm leider nochmals zu einem Rückfall, aber er ist jetzt weitgehend spielfrei, wie sich in unserer Nachsorge herausgestellt hat“, freut sich der Caritas-Mitarbeiter.
Spielsüchtige wie Andreas Müller sind seine „typischen Klienten“. Rund 80 Prozent der Leute, die ihn aufsuchen, sind durch Geldspielautomaten süchtig geworden, wesentlich mehr als durch Sportwetten, illegales Kartenspiel oder auch Online-Glücksspiele. „Und auffällig ist, dass vor allem Männer kommen, die eine feste Arbeitsstelle haben und mit ihrem hart verdienten Geld die Automaten füttern. Und fast alle haben am Anfang Erfolg, gewinnen mehrere hundert Euro, doch dann folgt die Verlustphase, aber erst in der Verzweiflungsphase kommen sie hierher“, so der Sozialpädagoge.
„Enorme Ausweitung des Problems“
Die Caritas-Kreisstelle Ingolstadt richtete seine von der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern finanzierte Stelle im Februar 2010 ein, nachdem in der Suchtambulanz bereits im Jahr zuvor 42 Menschen mit der Diagnose „pathologisches (krankhaftes) Glücksspiel“ beraten worden waren. Letztes Jahr waren es in elf Monaten dann bereits 66 „pathologische Spieler“, außerdem 15 Angehörige. Der Caritasmitarbeiter sieht in der steigenden Tendenz „die enorme Ausweitung des Problems“ bestätigt und verweist auch auf die Bayerische Suchthilfestatistik: Nach dieser suchten im Jahr 2001 131 Patienten mit der Hauptdiagnose „Pathologisches Glücksspielen“ eine bayerische Beratungsstelle auf, 2008 bereits 518, und für 2009 wird mit einer Verdopplung auf rund 1.000 ausgegangen. In Geldspielautomaten in Spielhallen sind dem jüngsten Glücksspielsuchtreport der Landesstelle zufolge im Jahr 2008 allein in Bayern insgesamt 258 Millionen Euro geworfen worden – 120 Prozent mehr als im Jahr 2000. Nach Angaben des Arbeitskreises gegen Spielsucht e.V. im nordrhein-westfälischen Unna kommt in Bayern mittlerweile ein Spielhallengerät auf 387 Einwohner –1998 entfiel noch ein Gerät auf 1.179 Einwohner. Für Daniel Matasić steht fest: „Die Politik muss etwas tun. Ich hielte es zum Beispiel für sinnvoll, die Einsatzmenge pro Spiel gesetzlich auf 20 Cent zu begrenzen, außerdem die Dauer eines Spiels auf mindestens 15 Sekunden zu erhöhen.“ Mit beiden Maßnahmen käme es dann nicht ganz so schnell zu Verlusten wie derzeit – und demzufolge auch nicht zu Verzweiflungen. In erster Linie, mahnt er, sollten aber Spieler selbst wachsam sein: „Sucht entsteht in der Person und ist nicht von der Substanz abhängig.“ Bei keiner anderen Abhängigkeit werde dies so deutlich wie bei der Glückspielsucht.
Informationen über diese Caritas-Beratung gibt es unter www.caritas-suchtambulanz-ingolstadt.de und telefonisch unter 0841 / 309138.