Weil sie es können …
"Ich könnte das nicht." Wenn Andrea von der Heyden im Kreis von Freunden und Bekannten über ihr ehrenamtliches Engagement in der Hospizarbeit berichtet, hört sie diesen einen Satz immer wieder. "Und genau weil so viele das sagen, ist es umso wichtiger, dass die, die können, es auch wirklich tun", kontert Andrea von der Heyden dann und ist froh, dass sie selber zu denen gehört, die tun, was sie können.
"Ich habe zum Tod eine ganz spezielle Beziehung. Von Kind an." Helga Czischke spricht mit ruhiger, sanfter Stimme. Sie weiß, was sie da sagt, denn tatsächlich ist das Sterben ein Thema, das sie fast zeitlebens interessiert. "Der rein körperliche Prozess ebenso wie die Frage nach dem Sinn und dem Ziel des Lebens und des Sterbens." Bis heute hat die 68-Jährige viele Bücher darüber gelesen. Eine kleine Meldung des Wuppertaler Caritasverbandes in der Tageszeitung gab ihrem besonderen Interesse dann aber vor fünf Jahren noch einmal eine neue Wendung. Der Hinweis auf einen in Kürze beginnenden Kursus für Menschen, die sich als ehrenamtliche Hospizhelfer ausbilden lassen möchten, elektrisierte die Wuppertalerin: "Da kam mir ein Zug entgegen und ich bin aufgesprungen." Die ehemalige Redakteurin stürzte sich mit Feuereifer in die Thematik. "Modelle über die Sterbephasen des Menschen, Gesprächsführung und Kommunikationsmodelle, rechtliche Fragen, Patientenverfügung und vieles mehr", Helga Czischke erinnert sich noch gut an die Inhalte der umfangreichen Schulung, die der Caritasverband nach Leitlinien von Bund und Land konzipiert hat, und ist sich beim Rückblick sicher: "Besonders wichtig für alle Teilnehmer aber war wohl auch der Blick hinein in sich selbst. Wie steht man zur eigenen Endlichkeit? Welche Ressourcen stecken in einem? Und welche Defizite?"
Andrea von der Heyden nickt zustimmend. Genauso hat sie es auch empfunden. Die heute 51-Jährige absolvierte die Caritas-Ausbildung zur Hospizhelferin 2007. Für die gelernte Kinderkrankenschwester waren schon damals Krankheit, Leid und Sterben keine neuen Themen. Doch während man im Klinikalltag zwischen Dienstplan und Geräten funktionieren muss, lebt die Hospizarbeit mit anderen Prioritäten. Weil sie "eine Leidenschaft für Kinder hat" und ihnen endlich mehr Zeit schenken wollte als im Krankenhausstress möglich war, entschied sich Andrea von der Heyden für die spezielle Ausbildung in der Kinderhospizarbeit und lernte als Wichtigstes, so schätzt sie es selber ein: "Den betroffenen Familien behutsam und demütig zu begegnen."
Ihre allerersten hospizlichen Aufgaben - beiden Frauen sind diese einige Jahre zurück liegenden Begegnungen noch sehr lebendig in Erinnerung. Für Helga Czischke war es ein sterbender Mann in einem Caritas-Altenheim. Er hatte keine Verwandten, bekam nie Besuch. Der Kontakt war kurz. Drei Nachmittage blieben bis zu seinem Tod. "Ich habe einfach an seinem Bett gesessen. Wenn es seine Kräfte erlaubten, hat er von seiner Familie gesprochen." Helga Czischke konnte nicht mehr viel für ihn tun, doch rückblickend ist sie sich sicher, dass die wenigen Stunden wichtig in seinem und auch in ihrem eigenen Leben waren.
Andrea von der Heyden erinnert sich noch heute dankbar "dass mir die hauptamtliche Koordinatorin beim Caritasverband als erstes eine Familie anvertraut hat, die gut zu mir passte." Sie war einem neunjährigen Mädchen, das schwerst mehrfach behindert und zusätzlich schwer herzkrank war, zur Seite gestellt worden. Im Kontakt zu den Eltern stimmte von Anfang an die Chemie, "was mir diese Aufgabe sehr erleichtert hat." Dass fachliches Wissen, soziale Kompetenz und die von Andrea von der Heyden beschriebene Demut manchmal noch nicht ausreichen, erlebte die Hospizhelferin im Laufe der Jahre. "In Familien mit Migrationsgeschichte zum Beispiel braucht es zudem interkulturelle Kompetenz." So weiß sie heute, dass muslimische Eltern und da vor allem die Väter, Meister im Verdrängen des nahenden Todes sind. "Sich selber zurücknehmen aber wahrhaftig bleiben", dies Rezept lehrt Silke Kirchmann, Leiterin der Caritas-Hospizdienste in Wuppertal, ihr ehrenamtliches Team: "Freue dich mit dem türkischen Vater, der dir berichtet, dass sein schwerstkranker Sohn gestern noch Fußball gespielt habe und bestimmt bald wieder ganz stark sein wird. Sag ihm aber auch, dass der Junge Ruhe braucht, weil Anstrengung sein Leiden und Sterben verschlimmert."
Wahrhaftig zu den Menschen, die begleitet werden, wahrhaftig aber auch zu sich selbst. Dazu gehört, dass der angehende Hospizhelfer in sich hineinhorcht, seine eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Interessen erkennt. Für Kinderkrankenschwester Andrea von der Heyden war von Anfang an der Kinderhospizdienst die erste Wahl. Helga Czischke beschäftigte sich in ihrer Abschlussarbeit zwar ebenfalls mit der Sterbebegleitung von Kindern, entschied sich dann aber für die ehrenamtliche Tätigkeit im Erwachsenenbereich. Inzwischen hat sie ihren Schwerpunkt auf die Trauerbegleitung gelegt. Regelmäßig betreut sie das Trauercafé, das der Caritasverband in eigenen Räumen in Wuppertal anbietet. Hier ist die ruhige, bedächtige Rentnerin ein bestens geeigneter Gesprächspartner und Zuhörer. "Unsere Gäste sind überwiegend Witwen. Manche kommen jahrelang." In der Gemeinschaft der Trauernden finden sie Halt, in den Café-Themen, die Helga Czischke von Mal zu Mal vorschlägt, eine Art "Geländer" für das gemeinsame Gespräch. "Als ich zum Beispiel vor einiger Zeit das Thema Wochenenden und Feiertage vorgegeben habe, entspann sich in kürzester Zeit ein lebhaftes Gespräch über die besondere Einsamkeit an diesen Tagen und es entstanden auch Ideen, diese stille Zeit durch gemeinsame Aktivitäten zu überwinden."
Ob das ehrenamtliche Engagement und die hautnahe Beschäftigung mit Leiden, Sterben und Tod den Blick auf die eigene Endlichkeit verändert haben? Die Frage drängt sich im Gespräch mit den beiden erfahrenen Hospizhelferinnen auf. Die Antworten kommen nach einigem Innehalten. Andrea von der Heyden, mit 51 Jahren voller Tatendrang, denkt an das, was zurück bleiben wird. Privat und in ihrem Ehrenamt: "Was machen die mal ohne mich?" Unvollendetes zurück zu lassen, beunruhigt sie. Und Helga Czischke, die so viel über den Tod gelesen hat und ihm durch ihre Arbeit im Hospizdienst nicht aus dem Weg gegangen ist, gesteht: "Die Angst vor dem Sterben habe ich nicht ganz ablegen können, doch der Gedanke an meinen eigenen Tod fällt mir leichter als früher."
"Individuell wie die Menschen, so individuell auch die jeweilige Haltung gegenüber der eigenen Endlichkeit", weiß Silke Kirchmann. In der Begleitung "ihrer" Ehrenamtlichen setzt sie auf das gleich Rezept, das sie ihnen auch für die Begegnung mit den Schwerstkranken, Sterbenden und Angehörigen mit gibt: "Raum und Zeit für´s Zuhören, Unvoreingenommenheit im Gespräch, Wärme und Kraft aus unserem Glauben." Andrea von der Heyden bekräftigt: "Das A und O für mich ist der Austausch in der Gruppe der Ehren- und Hauptamtlichen, in der wir uns gegenseitig in schwierigen Situationen auffangen und Halt geben."
www.caritas-wsg.de
Susanne Bossy
Ohne ehrenamtliche Hospizhelfer/innen wäre die ambulante Hospizarbeit, die die Menschen in ihrem gewohnten Zuhause begleitet, nicht finanzierbar. Doch auch in den stationären Hospizen sind Ehrenamtler wichtige Unterstützer in der individuellen Zuwendung zu den Patienten. Nachdem es in Wuppertal bereits seit einigen Jahren ein stationäres Erwachsenenhospiz gibt, planen der Caritasverband Wuppertal/Solingen, die Diakonie Wuppertal und die Bethe-Stiftung zurzeit über die zu diesem Zweck gegründete Kinderhospiz-Stiftung Bergisches Land den Bau des "Kinderhospiz Burgholz". Zita Höschen, verantwortliche Projektkoordinatorin: "Neben der dringenden Notwendigkeit für den Bau und Betrieb des Kinderhospizes Spender zu werben, gewinnt die ehrenamtliche Kinderhospizarbeit damit in der bergischen Region noch eine zusätzliche Bedeutung." www.kinderhospiz-burgholz.de