Wenn Not an der Frau ist
„Tagsüber war ich bei der Familie, geschlafen habe ich im Pfarrhof“, erzählt die heute 87-Jährige. Gerade einmal 25 Jahre war sie damals alt. Familienpflegerin – das war damals, 1955, ein ganz neuer Beruf. Ein Jahr lang dauerte die Ausbildung an einer Schule im niedersächsischen Bad Pyrmont, daran schloss sich ein einjähriges Praktikum an.
Für eine Frau wie Anna Stegerer, die als Leiterin der fürstlichen Notstandsküche in Regensburg bereits voll im Berufsleben gestanden hatte, sicherlich keine leichte Zeit. Doch rückblickend ist die rüstige Seniorin zufrieden: „Freude hat mir das bei den Familien schon viel gemacht.“ Noch heute bekommt sie Karten von Familien, bei denen sie bis 1978 zeitweise Hausfrau und Mutter ersetzen musste. „Anni, wir
denken noch so gerne an die Zeit“, sagten ihr Betreute von damals, wenn sie sich zufällig einmal begegneten. Eine Zeit, in der die Familien und Familienpflegerinnen mit ganz anderen Problemen konfrontiert waren als heutzutage, wie Auszüge aus Anna Stegerers Tagebuch zeigen:
„23. Februar 1956: Die Frau und Mutter von fünf Kindern – 12, 8, 7, 5, 3 Jahre – war im Bett. Nervlich fertig. Wie da der Mutter zumute ist, konnte ich verstehen. Schon nach einer Woche aber ging es ihr wieder besser.
Februar 1957: Sieben Kinder warteten auf mich; auch Bäuerin durfte ich spielen. Drei Tage hatte ich so geschwollene Arme vom Melken, dass mir mein Uhrband nicht mehr passte.
Hungern in der Einöde
11. Juni 1957: Mein Fahrrad brachte mich zu diesem Einödhof. Ach, wie sah es da aus. Man wird es kaum glauben, aber da mussten Leute und Vieh hungern. Es gab keine Kartoffeln mehr und Getreide für Brot war auch wenig da. Die Frau wartete auf ihr 5. Kind. Vier so nette Mädchen waren da.“
In den 50er und 60er Jahren, einer Hoch-Zeit der Familienpflege beim Caritasverband Regensburg, teilten sich sieben Familienpflegerinnen eine gemeinsame Wohnung in der Von-der-Tann-Straße. Sie sprangen ein, wenn Not an der Frau war: wenn die Geburt eines Kindes bevorstand, die Frau im Wochenbett lag oder krank wurde. Dieser Ansatz der Familienpflege ist bis heute gleich geblieben.
Kassen scheuen Kosten
Bloß, dass der Caritasverband jetzt nur noch eine Familienpflegerin beschäftigt. Robert Bach, Leiter des Referats Erholungshilfe beim Diözesan-Caritasverband, sagt dazu: „In unseren Kreisverbänden wurde
diese Arbeit teilweise auch angeboten, durch die Probleme mit den Krankenkassen dann aber wieder eingestellt.“ Als Kostenträger übernehmen die Kassen derzeit 21,60 Euro pro Stunde Pflegeeinsatz, was
die tatsächlich anfallenden Kosten bei weitem nicht decke, so Bach. Geändert hat sich außerdem, dass niemand mehr von einem „echt fraulichen Beruf“ spricht, wie zu Zeiten von Anna Stegerer für das Berufsbild der Familienpflegerin geworben wurde. Obwohl sich – zumindest bei der hiesigen Caritas – bis heute kein Mann in die Frauendomäne der Familienpflege gewagt hat.
Als Voraussetzung für künftige Familienpflegerinnen wurde damals verlangt, „absolut selbstlos“ zu sein. Kein Wunder: Die Arbeit, die auf die Frauen in den Familien wartete, war hart; und in Zeiten ohne
Waschmaschine, ohne Wegwerfwindeln und ohne E-Herd ein Knochenjob. „Ich hatte einen Beruf, der mich wirklich ausgefüllt hat“, sagt Anna Stegerer. „Ich hatte ja immer viele liebe Leute um mich rum, die
mich brauchten.“ Deshalb sei in ihr auch nie der Wunsch nach einer eigenen Familie aufgekommen, obwohl sie selbst aus einer kinderreichen Familie kam: Sie war die jüngste von acht Geschwistern. Auch mit 87 Jahren sagt sie: „Dass ich für andere Menschen da sein konnte, das war das Schönste für mich an diesem Beruf.“
So wird man heute Familienpflegerin
Wer mindestens einen Hauptschulabschluss hat oder eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung mit zwei Jahren Berufserfahrung vorweisen kann, kann die Ausbildung zur
staatlich geprüften Familienpflegerin an einer Fachschule machen. In Bayern gibt es beispielsweise in München die Stiftung Katholisches Familien- und Altenpflegewerk, die Familienpflegerinnen
ausbildet. In der zwei- bis dreijährigen Ausbildung werden theoretische Kenntnisse in Wirtschaftsund
Ernährungslehre sowie Pädagogik und Gesundheitslehre vermittelt. Außerdem sind Praktika in Krankenhäusern, Kindergärten, Altenpflegeeinrichtungen oder aber Privathaushaushalten
vorgesehen.