Was macht eigentlich... eine Logopädin?
Ein Schlaganfall vernichtete seinen Wortschatz, den türkischen und den deutschen. Nun versucht Bakır Inanç, die einfachsten Dinge wieder zu benennen: Farben, Pflanzen, Tiere. Lâle Aydın hilft ihm dabei. Die Kölner Logopädin ist eine der wenigen im größeren Umkreis, die auf Mehrsprachigkeit spezialisiert sind. Wer Förderung auf Deutsch, Türkisch oder Russisch benötigt, findet in ihrer Praxis muttersprachliche Experten - die Voraussetzung für eine optimale Diagnose und für die Behandlung des Störungsbildes.
Bakır Inanç ringt um Begriffe, Laute, Erinnerungen. Die Farbe seines T-Shirts, die Farbe auf der Karte? "Blau nicht, rot nicht", weiß er. Lâle Aydın nennt den Anlaut - g -, dann fällt ihm das Wort ein: gelb. In dem Spiel "Farben ringsum" gilt es, eine Farbkarte zu ziehen und einer Schwarz-Weiß-Zeichnung zuzuordnen, deren Gegenstand genau diese Farbe hat. Der 41-Jährige findet den Löcherkäse, kann ihn aber nicht benennen. Lâle Aydın baut Brücken: "Gibt’s in Holland…" Die Antwort: "Wurst!" Damit befindet sich der Patient im richtigen semantischen Feld, Lebensmittel. Beim nächsten Versuch hat er die Lösung: "Käse."
Anknüpfen ans Patienteninteresse
Auf seiner Reise ins zerstörte Gedächtnis erhält er von der Logopädin viel Zuspruch. Sie knüpft dort an, wo noch Kompetenzen vorhanden sind: Seine Unterschrift für den Praxisbesuch kann der rechtsseitig Gelähmte selbst leisten, denn "alles Serielle ist einfach", erklärt sie. Lieder, Redewendungen, Alltagsrituale - all dies taugt, um verstummte Saiten wieder zum Klingen zu bringen. Ein Patient liebt Rosen? Dann fachsimpelt sie mit ihm über die Zucht, bringt einen Ableger aus dem Garten mit.
Fast jeder hat mal gesungen - darum stimmt Lâle Aydın eine bekannte Melodie an, und ihre Patienten fallen oft begeistert ein. Audiometer, Aufnahme-, Wiedergabegeräte und therapeutische Hilfsmittel wie Bilderbücher, Handpuppen oder Spielzeugtiere sind typische Arbeitsinstrumente von Logopäden. Die Schränke in Lâle Aydıns Behandlungszimmern sind voll davon. Sie ist die Ansprechpartnerin für Türkisch. Mehrsprachige Patienten erhalten zusätzlich eine deutschsprachige Therapeutin.
Banane schmecken und lernen
Vor allem Kindern möchte Lâle Aydın den Spracherwerb mit allen Sinnen ermöglichen. Arbeitsblätter findet sie zu trocken. Sie lässt hüpfen und balancieren, setzt Rhythmusinstrumente ein, "weil Sprache eine Rhythmik hat". Sie schickt kleine Patienten mit ihren Eltern einkaufen, zum Beispiel Dinge, die gelb sind. Zitronen und Bananen sollen sie schälen, schmecken und riechen, damit sich die Namen besser einprägen.
Wer Menschen so annimmt, wie sie in die Praxis kommen - mit Störungsbildern, oft auch mit Frust und Verunsicherung -, muss sie geduldig begleiten können. Eine logopädische Behandlung dauert mindestens drei Monate, manchmal Jahre. Wertschätzung, Humor sowie die Fähigkeit, angemessenen Körperkontakt aufzunehmen, sind ebenso erforderlich wie Professionalität in Anamnese und Behandlung. Dazu zählen das Aufklären der Angehörigen, die Kontrolle der Hausaufgaben und Therapiefortschritte.
Erfolg liegt in der Vielfalt
Mehrsprachigkeit an sich stellt im Übrigen keine Störungsursache dar. "Hat ein Kind Eltern aus verschiedenen Ländern und jeder spricht seine Sprache gut, kann es ohne weiteres mehrere Muttersprachen haben", betont Lâle Aydın. "Erziehen die Eltern jedoch ihr Kind in einer Sprache, die sie selbst nicht recht beherrschen, ist die Basis falsch gelegt." Aus ihrer Sicht kann ein Kind Deutsch als Zweitsprache in guter Qualität und rechtzeitig erlernen, wenn es in den Kindergarten kommt -vorausgesetzt, es liegt keine Entwicklungsverzögerung vor. Ihr ist wichtig: "Am Ende des fünften Lebensjahres sollte es seine Muttersprache perfekt sprechen. Die Muttersprache ist das Grundrecht eines jeden Menschen." Denn sie bedeute Identität.
Allzu oft erlebt Lâle Aydın den Druck, der auf zugewanderten Eltern lastet: In Deutschland müsse man Deutsch sprechen, auch in der Familie, so argumentieren etliche Experten. "Das hat für mich was Diskriminierendes", ärgert sie sich. "Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, beide Sprachen gleich gut zu lernen. Der Erfolg liegt in der Vielfalt."
In der Realität sind Logopäden wenig gerüstet, um Defizite mehrsprachig aufwachsender Kinder zu erfassen. Deutsche Therapeuten behelfen sich mit Fragebögen und CDs, auf denen sie sich die richtige Aussprache selbst erst mal anhören müssen. Manchmal versteht ein Kind, das an einem der flächendeckenden Kindergartentests teilnimmt, gar nicht, was man von ihm will. Diese Methode nutzt Lâle Aydın nicht. In einer angstfreien Situation testet sie die kleinen Patienten individuell.
Ärzte müssen mitspielen
Neulich schloss sie die Behandlung einer Vierjährigen mit Erfolg ab. Das Kind lag mit seiner Sprechfähigkeit auffällig hinter den Altersgenossen zurück. Anderthalb Jahre lang kamen die türkischsprachigen Eltern regelmäßig mit ihrer Tochter 60 Kilometer weit zu ihr in Behandlung. Heute spricht das Mädchen fast altersgerecht, erhält nur noch die Förderung auf Deutsch. Die Erfolgsfaktoren: Kind und Eltern waren motiviert und kooperativ, ohne schädlichen Ehrgeiz. Lâle Aydın lobt zudem das schnelle Handeln des Arztes: "Er hat die Verordnung ausgestellt, als das Kind zweieinhalb Jahre alt war. Es kommt sehr darauf an, dass in dieser sprachsensiblen Phase etwas passiert."
Selbstverständlich ist das nicht. Als Schattenseite ihres Berufs betrachtet sie es, vom Verordnungswillen der Ärzte abhängig zu sein - ohne Rezept keine Therapie. Je nach Budget oder mangelnder Problemeinsicht versage mancher Doktor den Eltern die Verordnung, was diese oft ohne Widerspruch hinnähmen. Dies wurmt die 51-Jährige umso mehr, weil sie als ausgebildete Erzieherin und als "Kofferkind" weiß, dass Sprache Teilhabe ermöglicht. Sie selbst zog mehrmals zwischen Deutschland und der Türkei um, ehe sie schließlich mit 13 Jahren blieb und hier ohne Deutschkenntnisse eingeschult wurde.
Sprachtrends wirken auch, wenn sie mit älteren Patienten zu tun hat. Deren Muttersprache befindet sich oft auf dem Stand des Auswanderungszeitpunkts. erläutert Lâle Aydın: "Die Entwicklung, die die Sprache in der Türkei in den vergangenen Jahrzehnten genommen hat, haben Türken in Deutschland häufig nicht verfolgt." Darum kann Lâle Aydın Tests für Kinder und Aphasiker, die sie aus der Türkei mitgebracht hat, hier nicht verwenden.
Warum, was, wie viel?
Die Einsatzgebiete von Logopäden sind so vielfältig wie die Ursachen von Sprach- oder Schluckstörungen. Unfälle, Schlaganfälle, Atem-, Hör- und Stimmprobleme, neurologische Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen oder seelische Belastungen wirken sich aufs Sprechen aus.
Logopäden arbeiten in Kliniken, Reha-Zentren oder Praxen. Sie verdienen im öffentlichen Dienst zwischen 2200 und 3200 Euro brutto.