Was macht eigentlich... eine Dorfhelferin?
"Es ist in der ersten Etage, bitte", sagt die Kinderstimme in der Sprechanlage ausgesucht höflich. Virginia Mussage (28), die Mutter der aufgeweckten vierjährigen Celina, kann nicht selber öffnen: Vor zwei Wochen ist der pharmazeutisch-technischen Angestellten beim Aufwärmen fürs Aerobic die Achillessehne gerissen. Noch einen Monat wird sie sich nach der OP mit Gipsfuß kaum bewegen können – das war erst mal ein Schock für die Mutter von Celina und dem 18 Monate alten Levis.
Denn der befindet sich im "besten Rabaukenalter", so nennt es Dorfhelferin Gabriele Gmelin, die den Zahnenden gerade oben im Kinderzimmer der großen Maisonettewohnung ins Bettchen gelegt hat. Virginia Mussage kann die Holzwendeltreppe mit Krücken nicht erklimmen, zu gefährlich.
Seit die Krankenkasse den Antrag auf Haushaltshilfe nach § 38 SGB V bewilligt hat, ist Gabriele Gmelin jeden Tag außer am Wochenende acht Stunden da, versorgt die Kinder, geht mit ihnen an die frische Luft, kocht, wäscht die Wäsche und fängt Levis ein, wenn er wieder auf den Couchtisch geklettert ist. Eigentlich würde sie neun Stunden gebraucht, aber die Kasse stellt sich auf den Standpunkt, dass Vater Thomas Mussage, der ins 15 Kilometer entfernte Freiburg pendelt, ja nur acht Stunden arbeite. Also bleibt seiner Frau morgens nur die Hoffnung, dass Levis ihr vor Ankunft der Dorfhelferin nicht entwischt.
Eine anspruchsvolle Berufsausbildung
"Ich gehöre noch zu einer ganz alten Generation", erzählt Gabriele Gmelin, "ich mache meinen Job seit 33 Jahren." Als Schülerin des Dorfhelferinnenwerks in Sölden (bei Freiburg) hat die 53-Jährige noch Gründerin Elisabeth Schwander (1917-2001) erlebt. "Eine absolut taffe Frau." Sie habe den Beruf der Dorfhelferin überhaupt ins Leben gerufen. Sinn und Zweck war, dass die Mädchen vom Lande eine Ausbildung machen und dass die Bäuerin Hilfe hat, wenn sie krank wird. Das 1954 gegründete Werk in Sölden war lange das größte im deutschsprachigen Raum. Bis 2001 haben über 1100 Frauen die anspruchsvolle Berufsausbildung durchlaufen. Heute kommen die meisten Berufsanfängerinnen von der Familienpflegeschule Freiburg zum Dorfhelferinnenwerk, das von der Erzdiözese Freiburg getragen wird.
Ihre Ausbildung umfasst Hauswirtschaft, Pädagogik, Psychologie und häusliche Pflege/Säuglingspflege.
In ihren ersten Berufsjahren hatte Gabriele Gmelin noch viele landwirtschaftliche Einsätze. "Die sind natürlich stark zurückgegangen", sagt sie. Den Strukturwandel der letzten Jahrzehnte hat die Tochter von Nebenerwerbslandwirten mitverfolgt: "Es gibt halt immer weniger landwirtschaftliche Betriebe. Die großen werden größer, die kleinen hören auf." Doch auch heute noch heißt es bei zehn Prozent der Einsätze: Wer die Bäuerin ersetzen muss, braucht ihr Know-how. "Die ganze Bandbreite: Gartenbau, Stall, Melken und was es alles gibt in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Es gibt Weinbaubetriebe, Viehbetriebe – total verschieden", sagt Gmelin.
Häufigster Grund für einen Einsatz ist nach wie vor die Erkrankung der "haushaltsführenden Person", meist der Mutter. Elisabeth Groß, heutige Leiterin des Werks, schätzt den Anteil psychischer Erkrankungen wie Burnout und Depression auf ein Drittel. Hinzu kämen schwere Krankheiten wie Krebs oder Schlaganfälle sowie Einsätze rund um die Geburt und bei Kuraufenthalten. Während die landwirtschaftlichen Einsätze zurückgegangen sind, kommen andere hinzu, die die Jugendhilfe zahlt: etwa für ein Haushalts-Organisations-Training (HOT), das Familien unterstützt, ihren Haushalt eigenständig zu führen und die Kinder richtig zu versorgen. Dieser Anteil liegt heute bei zehn Prozent. Der Verdienst einer Dorfhelferin entspricht in etwa dem einer Erzieherin.
"Es gibt nichts, was es nicht gibt"
Gabriele Gmelin mag an ihrem Beruf, dass man "sehr viel Persönliches" reinbringt, und spannend findet sie auch die große Bandbreite von Menschen, denen sie begegnet: "Es gibt nichts, was es nicht gibt. Sowohl von der sozialen Schicht: Hartz-IV-Empfänger bis ,Professore, Dottore‘, da gibt’s alles, was dazwischen ist, entsprechend immer mit Kindern, natürlich. Und dann auch die Problematik. Erfreulich sind Geburten: lustig, hektisch am Anfang – aber es gibt auch Fälle von schwer krank, krebskrank, Begleitung bis zum Tod."
Eine solche Begleitung belastet auch die Helferin, die über viele Monate dabei ist. Da helfe es, dass die Mitarbeiterinnen jederzeit Supervision in Anspruch nehmen könnten, aber auch der Austausch mit Kolleginnen und Einsatzleitungen. Gefragt, ob sie mit all ihren jetzigen Erfahrungen diesen Beruf wieder ergreifen würde, sagt sie: "Doch, auf jeden Fall. Mir ist nichts anderes eingefallen, was mir wirklich Spaß machen würde." Der Einsatz bei Familie Mussage wird aller Voraussicht nach und zum Glück einer sein, "der dann auch wirklich zuende ist", sagt Gabriele Gmelin und sinniert über all die Einsätze, in denen Dinge "über Jahre gehen und nicht mehr gut ausgehen".
Virginia Mussage räumt ein, dass es für sie zunächst gar nicht einfach war, ihre Rolle als Empfängerin von Hilfe im eigenen Haushalt anzunehmen: "Die ersten drei Tage hab ich auch gebraucht, dass ich loslassen kann." Frau Gmelin habe dann zu ihr gesagt: "Sie brauchen sich nicht für jedes Abräumen zu bedanken!"