Trockenraum wird zum Klassenzimmer
Natürlich kennt er alle beim Namen und weiß zu jedem eine Geschichte zu erzählen. Die Schüler ihrerseits wissen sein großes Engagement zu schätzen und folgen seinen Ausführungen mit eifrigem Interesse. Oliver ist 19 Jahre alt. Die Schüler sind meist deutlich älter als er.
Sein Unterricht findet nicht in einer Schule statt, sondern zwischen Wäscheständern in einer Flüchtlingsunterkunft in Haltern am See. Inzwischen gibt es hier im Trockenraum Tische und Stühle für den Unterricht. Sogar eine ausgemusterte Tafel hat man auftreiben können. „Anfangs saßen wir im Kreis und hatten nur ein Holzbrett als Unterlage“, erzählt Oliver Budey.
Die Schüler des angehenden Studenten kommen aus den unterschiedlichsten Nationen. So sitzt im Deutschkurs von Oliver ein Ägypter zwischen einem Iraker und einer Albanerin, während hinter dem Trio jemand aus Angola Platz nimmt. Diesem „Vielvölker-Gemisch“ bringt Oliver mit erstaunlicher Souveränität die deutsche Sprache näher. Er spricht lebensnahe Situationen an, um seinen Schülern beispielsweise zu vermitteln, wo genau der Unterschied zwischen „teuer“ und „billig“ liegt.
Doch was treibt Oliver Budey dazu, regelmäßig in die Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet zu fahren und dort Deutschkurse zu leiten? Vor allem vor dem Hintergrund, das sein Lebenslauf für einen 19-jährigen schon beeindruckend ist: Er ist in Irland zur Schule gegangen, hat ein Freiwilliges Soziales Jahr in Südafrika absolviert und spricht sechs Sprachen. Kurz: Personalabteilungen aller Weltkonzerne suchen nach Menschen mit seinen Fähigkeiten.
„Oliver ist ein Glücksfall“, weiß David Schütz vom Caritasverband Haltern, der den Kurs gemeinsam mit dem ehrenamtlichen „Asylkreis Haltern“ (AKH) auf die Beine gestellt hat. Er ist Teil eines Projektes, das die Unterbringung in den Unterkünften menschenwürdiger gestalten soll. Zusätzlich sollen in Zukunft Begegnungsabende stattfinden, bei denen die Flüchtlinge mit Halterner Bürger zusammentreffen können. Ebenfalls in Planung ist ein theaterpädagogisches Projekt für die Kinder der Unterkunft. Dieses beispielhafte Engagemenet hat die Caritas GemeinschaftsStiftung mit 2.000 Euro unterstützt.
„Ohne unsere Initiative wäre hier nichts mehr los“, weiß David Schütz. Denn von der Stadt Haltern gibt es aufgrund finanzieller Schwierigkeiten keine Angebote mehr für die Flüchtlinge. Geblieben ist lediglich ein Sprachkurs für Bewerber, die schon mehr als neun Monate da sind. Nach Meinung der Initiatoren darf man aber so lange nicht warten.
Gerade aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen eint die Flüchtlinge der Wunsch nach einem ruhigen und sicheren Leben in Deutschland. Mimoza, die in Albanien als Grundschullehrerin gearbeitet hat, will in Deutschland „einfach nur Arbeit finden“ wie sie selbst sagt. Auch deshalb ist ihr der Kurs sehr wichtig. „Sie will unbedingt Deutsch lernen“, übersetzt die Tochter. Denisa hat für ihre Zukunft große Pläne: „Ich würde sehr gerne Medizin studieren“, sagt die Schülerin, die derzeit ein Berufskolleg besucht. Ihr Traumjob? „Kinderärztin wäre toll“, erwidert sie mit leuchtenden Augen.
Auffällig ist: Diejenigen, die den Kurs von Oliver besuchen, passen nicht in das Klischeebild eines „Armutsflüchtlings“. „Solche Leuten habe ich hier noch nicht erlebt“, sagt er und berichtet von einer Begebenheit, die ihm klargemacht habe, „wie viel ein EU-Pass bringt“. Liliane aus Angola sei ähnlich wie er selbst sprachbegabt und spricht vier Sprachen fließend. Doch anders als Oliver, der demnächst ein Studium aufnehmen wird, wird Liliane ihren Traum Dolmetscherin zu werden, wohl kaum in die Tat umsetzen können. Deshalb hofft Oliver Budey auf Veränderungen: „Diese Menschen können uns doch als Gesellschaft nicht überfordern.“