Was macht eigentlich... ein Sprach- und Integrationsmittler?
Brückenbauer sollen sie sein, Sprachbarrieren überwinden, Migranten und ihren Ansprechpartnern Verständnis füreinander vermitteln und Akteure der Sozialarbeit zielorientiert unterstützen. Dafür nehmen sie zwölf bis 18 Monate lang Unterricht in Fächern wie Kommunikation, Mediation und Konfliktmanagement, Asyl- und Sozialrecht, Migrationssoziologie und Religionsvergleich. Sie lernen in Vollzeit, perfektionieren ihre Zweitsprache, schreiben Klausuren, absolvieren Praktika.
Das Zertifikat zum "Sprach- und Integrationsmittler" erhalten sie erst nach den Abschlussprüfungen in den Hauptfächern Gesundheit, Bildung, Soziales, Dolmetschen, Sprach- und Kulturmittlung. Die legen sie vor Vertretern des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf ab. Wenn dann ein Auftraggeber ruft: "Da kommt ja unser Dolmetscher!", beschleicht Inan Durmuş der Frust. Denn gedolmetscht hat er ja schon als Kind. Mussten Eltern, Onkels, Tanten, Nachbarn zum Doktor, klar, dann half der beredte, in Köln aufgewachsene Junge aus, so wie es clevere Kinder eben tun – oder andere Hilfsbereite, die gerade in Reichweite sind.
Inan Durmuş’ Eltern stammen aus der ostanatolischen Stadt Malatya, ihre Muttersprachen sind Türkisch und Kurdisch. Er selbst dolmetscht jetzt Türkisch-Deutsch und umgekehrt, auf fachsprachlichem und professionellem Niveau. Das allein löst indessen noch nicht die Probleme, die beispielsweise zwischen Ärzten und ihren internationalen Patienten entstehen.
Verrückt oder nur sprachlos?
Während einer seiner ersten Einsätze traf Durmuş in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung auf einen verwirrten, kaum artikulationsfähigen jungen Mann ohne Deutschkenntnisse, zu dem die Mediziner nur schwer Zugang fanden. Weil er gesagt habe, eher sollten seine Kinder sterben als bei seiner Frau aufwachsen, fürchteten sie um deren Leben. Zudem hielten sie seine Äußerung, er fühle sich, als trüge er ein Hemd aus Feuer, für psychotisch.
Den Wortlaut hatte man ihnen so übersetzt. Dass Tod- und Sterbemetaphern im Türkischen oft bemüht werden, um starke Emotionen auszudrücken, dass das Flammenhemd eine häufige Redewendung ist, wusste keiner. Der Patient wurde fixiert. Inan Durmuş fand heraus, dass Tropfen eine teilweise Zungenlähmung verursacht hatten. Er bewirkte einen Medikamentenwechsel. Er klärte die Mediziner über die Bedeutung der Aussagen auf und erarbeitete die realen Gründe für die befremdlich wirkende Formulierung. Allmählich gewann der Patient wieder etwas Vertrauen in sein Umfeld. Das Klinikpersonal konnte ihn besser einschätzen. Zweimal pro Woche durfte er die Station für eine halbe Stunde verlassen und kehrte dann vereinbarungsgemäß zurück. "Dass ich an diesem positiven Verlauf mitwirken konnte, war ein starkes Erlebnis", erinnert sich Inan Durmuş. "Da hab ich mich echt gut gefühlt."
Verwandte als Vermittler nur bedingt geeignet
Nur Profis sollten zwischen Ärzten und Patienten, Migranten und Fachkräften vermitteln, betont der 37-Jährige. Denn Laien, etwa Angehörigen, fehlten die fachsprachlichen Kenntnisse – dies könne zu Fehldiagnosen führen. Zudem scheuten sie sich aus Taktgefühl, Scham oder Betroffenheit, bestimmte Aussagen oder Befunde zu übersetzen. "In eine solche Situation sollte man Familienmitglieder nicht bringen", sagt Durmuş. Überdies seien Nachbarn und Verwandte mit Datenschutz und Schweigepflicht wenig vertraut. Zugleich stehe ihnen oder Ehrenamtlichen bei Überforderung niemand bei. Sprach- und Integrationsmittler, die an aufwühlenden Situationen und Schicksalen teilhaben, bewältigen diese mit Hilfe von Supervisionen.
Doch nicht nur das. Die Fortbildung vermittelt den Berufsneulingen kommunikative und soziale Kompetenzen. Engagement und der Wille zu helfen reichen als Zugangsvoraussetzung nicht. Gefragt sind Mindestlevels in Deutsch und einer Zweitsprache sowie – Lebenserfahrung. "Leid und Schmerz schaffen Empathie", sagt Varinia Fernanda Morales von der Internationalen Gesellschaft für Bildung, Kultur & Partizipation (Bikup), die die Fortbildungen anbietet. "Das ist eine Schlüsselqualifikation, die junge Menschen, etwa alleinreisende Flüchtlinge, bereits aufweisen können." Im Lehrgang erlernen sie Selbstreflexion und Abstraktionsvermögen. Das befähigt sie zu der gebotenen Neutralität im Job und stellt die eigene Migrationsgeschichte in ein neues Licht.
Nach einer Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann, Jahren als Sachbearbeiter und Existenzgründer hat Inan Durmuş nun den Beruf seines Lebens gefunden, wie er sagt. Er verfügt über eine feste Teilzeitstelle als Personalcoach für Gehandicapte, die ein Tagescafé führen. Darüber hinaus wird er über den Bikup-Sprachmittlerpool NRW an die Kliniken des Landschaftsverbands Rheinland vermittelt und ist als ambulanter Betreuer für Sucht- und psychisch Erkrankte tätig.
Nicht jede Sprache ist gefragt
In der Tat fächern sich die Einsatzfelder für Sprach- und Integrationsmittler weit auf. Die Vermittlungsquote ist hoch und die Fortbildung daher förderfähig. "Über 80 Prozent der Zertifizierten befinden sich in Festanstellung", berichtet Varinia Morales. "Sie arbeiten unter anderem als Sprach- und Integrationsmittler, Sozialbetreuer, Migrations- und Flüchtlingsberater, interkulturelle Trainer, Mitarbeiter wie auch Koordinatoren von Flüchtlings- und Migrationsprojekten." Sie rät: "Wer auf Honorarbasis professionell dolmetschen und kultursensibel vermitteln möchte, hat darauf zu achten, dass es in seiner Sprache einen entsprechenden Bedarf gibt. Hier können die Verdienstaussichten zwischen 1200 bis 4000 Euro netto im Monat liegen." In Nordrhein-Westfalen vermittelt der Bikup-Sprachmittlerpool Sprach- und Integrationsmittler.