Raus aus der Armutsfalle
Deutschland hat sie sich anders vorgestellt: "Nicht so kompliziert", sagt Silviya Hristova. Vor knapp einem Jahr macht sich die junge Mutter im bulgarischen Razgrad auf, um der Armut dort zu entfliehen und im fast 2000 Kilometer fernen Berlin ein besseres Leben zu suchen. Doch aus der großen Hoffnung, die sie mitbringt, wird pure Verzweiflung. Die mobile Beratungsstelle für Zuwandernde aus Südosteuropa MOBI.Berlin unterstützt sie nun mit ihrer Familie dabei, einen Teufelskreis von Schwierigkeiten zu durchbrechen. Als sie in Berlin ankommt, hat Silviya Hristova nicht viel mehr als einen Koffer. Weder die deutsche Sprache hat sie mit im Gepäck noch eine Ausbildung. Keine Wohnung, keine Arbeit - keine Perspektive. Aber sie hat ein Ziel vor Augen: All das soll sich ändern. Es muss sich ändern, zumal Tochter Fatme bei der kranken Großmutter in Bulgarien lebt und dort nicht auf Dauer bleiben kann.
Lebenspartner Mladen findet zwar rasch einen Job als Fahrer bei einem Getränkelieferanten. Trotzdem sind die beiden auf Hilfsbereitschaft angewiesen - auf Freunde und Bekannte, die Mitleid haben und sie für ein paar Tage aufnehmen. Oft müssen sie aber auch in Notunterkünften übernachten, manchmal schlafen sie im Görlitzer Park. "Eine schwierige Situation", sagt sich die 30-Jährige. Zugleich quälen sie die Gedanken an Fatme: "Was ist eine Mutter ohne ihr Kind, was ist ein Kind ohne seine Mutter?" Das fragt sie sich immer wieder. Jedoch scheint es ihr aussichtlos, die Tochter zu sich zu holen, solange keine feste Bleibe gefunden wird und für das Kind gesorgt werden kann. "Das Wichtigste ist doch ein Dach über dem Kopf", so die besorgte Mutter.
Die Lage ist prekär und sie spitzt sich noch einmal zu, als sich ein zweites Kind ankündigt: Silviya Hristova ist schwanger - schwanger und obdachlos in einem fremden Land, einer fremden Stadt. Aus dem Traum vom besseren Leben wird ein Alptraum, aus dem Mut und der Zuversicht, die sie mitgebracht hat, werden Angst und pure Verzweiflung: "Was wird mit dem Baby?" Das ist die größte Sorge, als sich die Schwangere in ihrer Not an die Caritas-Beratungsstelle wendet.
Silviya Hristova braucht Hilfe, damit sie nicht im Formular-Dschungel von Bürokratie und Behörden verloren geht, sondern die Unterstützung erhält, auf die sie dringend angewiesen ist. Annette Schymalla, Leiterin von MOBI.Berlin, weiß, was zu tun ist: "Vor allem bei der Existenzsicherung und dem Krankenversicherungsschutz, der aufgrund der Schwangerschaft unverzichtbar ist, haben wir Frau Hristova unterstützt. Nach langem Hin und Her, Widerspruchsverfahren und mithilfe einer Fachanwältin für Sozialrecht haben wir es geschafft." Schließlich gelingt die Anmietung und Einrichtung einer kleinen Wohnung in Schöneberg. Der Partner verliert zunächst seinen Aushilfsjob, findet aber bald einen neuen. Die zweite Tochter erblickt das Licht der Welt: Sevgi ist gesund und munter, und das Paar heiratet. Auch schaffen sie es, die ältere Tochter Fatme zu sich nach Deutschland zu holen. Silviya Hristova ist überglücklich: "Endlich ist die Familie zusammen!" Schulplätze in Berlin sind rar, besonders in den Innenstadt-Bezirken. Trotzdem kann Fatme innerhalb von nur zwei Wochen eingeschult werden. Das Team von MOBI.Berlin begleitet diesen Prozess, die Vorsprache bei dem zuständigen Schulamt, die erstschulische Untersuchung und die Anmeldung in der Schule.
Die Eingewöhnung fällt dem achtjährigen Mädchen nicht leicht. Silviya Hristova muss manche Träne ihrer Tochter trocknen. Sie versucht sie immer wieder zu ermutigen. Mit Erfolg: Von Tag zu Tag geht Fatme mit mehr Begeisterung zur Schule. Sie lernt fleißig und der Kontakt mit den anderen Kindern tut ihr gut. "Schule, das ist Zukunft", sagt Silviya Hristova. "Ich bin so froh und stolz auf Fatme." Die Mutter schöpft Mut - für die Familie und für sich persönlich.
Mit der Unterstützung von MOBI.Berlin wachsen aus einer völlig aussichtslos empfundenen Lebenssituation nicht nur Träume, sondern auch Bildungsperspektiven. Noch verlangt die kleine Tochter die volle Fürsorge und Aufmerksamkeit von Silviya Hristova. So bald wie möglich möchte sie aber einen Deutschkurs besuchen und sich auch ohne Übersetzungshelfer verständigen können. Sie will versuchen, eine Arbeit als Reinigungskraft zu finden oder eine Ausbildung als Friseurin. Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg. Aber es ist ein guter Weg und Silviya Hristova muss ihn nicht ganz alleine gehen. Die seit kurzem von der EU geförderte Caritas-Beratungsstelle MOBI.Berlin wird ihr ein Wegweiser sein - ein Wegweiser der Hoffnung und Integration.
Kontakt:
Mobile Beratungsstelle MOBI.Berlin
Levetzowstraße 12 a
10555 Berlin
Tel. 030 / 922 51 614
Sprechzeit
Donnerstags 14 bis 17 Uhr