Sozialarbeit am Herd
Getrockneter Asia-Snack und Toastbrot zählten zu den Grundnahrungsmitteln von Svenja Daß‘ Schützlingen. Die Leiterin des Caritas-Jugendzentrums "Magda" verzieht noch immer das Gesicht, wenn sie an die Anfänge denkt. Mittlerweile kommen Salat und selbstgemachte Spaghetti Bolognese auf den Tisch. Ein offener Raum mit Küchenzeile, ein paar Bürotüren gegenüber, in einer hinteren Ecke Computer, in der Mitte ein großer Tisch mit Stühlen: Hier wird gekocht, gegessen, geredet - Gemeinschaft erlebt und Christsein gelebt. Im Holzhaus in der Lichtenberger Gotlindestraße 38 bietet die Caritas Kindern und Jugendlichen aus der Nachbarschaft eine Anlaufstelle nach der Schule. Statt alleine vor der Glotze zu sitzen, erleben sie hier Gemeinschaft - gemeinsames Essen inklusive. "Vielen fällt es unheimlich schwer sitzenzubleiben, bis der Letzte aufgegessen hat", berichtet Svenja Daß. "Unsere Jugendlichen sind es gewohnt, dass zuhause jeder allein vor dem Computer isst."
„Die Kinder hatten einfach Hunger”
In Berlin-Lichtenberg lebt jedes dritte Kind von Hartz IV. So ist der Kindermittagstisch der Caritas zunächst ein wesentliches und niedrigschwelliges Angebot, das aus einem einfachen Grund entstanden ist: "Wir haben gemerkt: Die Kinder hatten einfach Hunger", erzählt Svenja Daß vom Beginn im Jahr 2005. "Die Eltern haben ihre Kinder in der Schule nicht zum Essen angemeldet, weil sie es sich nicht leisten können. Teilweise aber auch, weil es ihnen egal ist."
Was im "Magda" auf den Tisch kommt, entscheiden die Jugendlichen selbst. Natürlich stehen Klassiker wie Pizza, Spaghetti und Lasagne ganz oben auf der Hitliste. Doch auch im Internet lassen sich die Jungen und Mädchen mittlerweile gern zu Ausgefallenerem inspirieren. Auch einen gesunden Salat planen sie selbstverständlich mit ein. "Dann wird diskutiert, ob mit Rucola oder Feta." Svenja Daß erzählt, wie sie anfangs mit ihren Kollegen spielerisch Lebensmittelkunde betrieben haben, beispielsweise mit "Gemüse-Memory". "Tomate, Gurke und Apfel kannten unsere Jugendlichen. Dann hörte es schon auf. Champignons kamen für sie aus der Dose."
Gesund muss nicht unlecker sein
Nicht nur gekocht, sondern auch eingekauft wird im "Magda" selbst. "Wir gehen extra in den Discounter, den die Jugendlichen von zuhause kennen. So lernen sie, wie sie auch zuhause für ihre Familien ein günstiges und gesundes Essen kochen können. Die einen kaufen ein, die anderen schnibbeln und wieder andere räumen hinterher auf. Das Mittagessen ist Teamwork. Wer mitisst, muss auch mithelfen. Und das Handy hat nichts am Esstisch zu suchen. Wieder so eine Regel, die den Jugendlichen nicht immer leicht fällt, einzuhalten, weiß Svenja Daß. Das gemeinsame Kochen steht für mehr als eine gesunde, warme Mahlzeit. Es bietet einen entspannten Rahmen für die Sozialarbeiter, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, von ihren Anliegen und Sorgen zu erfahren. "Am Tisch tauschen sie sich viel untereinander aus", erzählt Svenja Daß. "Auch der Weg zum Einkaufen lässt sich gut für ein Gespräch nutzen."
Nach dem Essen unterstützen Svenja Daß und ihre Kollegen bei Hausaufgaben, Bewerbungen oder der Vorbereitung einer Präsentation. Auch bei der Suche nach Praktika sind die Betreuer gern behilflich. Immer wieder äußere auch ein Jugendlicher den Wunsch, Koch zu werden. So wie Matthias*. Heute habe er keine Lust mitzukochen. "Aber wenn ich dann ein richtiger Koch bin, gebe ich euch meine Rezepte", verspricht er Svenja Daß und schlendert Richtung Computerecke. Gekocht wird mittlerweile nicht nur im "Magda". "Ein Mal in der Woche gehen wir an eine Schule und kochen dort mit den Kindern", berichtet Svenja Daß. Und auch das Catering für die Kinderoper hatten die "Magda"-Köche zuletzt übernommen. An diesem Dienstagnachmittag geht es ein wenig wuseliger zu. Die Gruppe der Koch- und Esswilligen ist größer als sonst. Seit einiger Zeit kommen auch Geflüchtete zu Besuch ins "Magda". Einige von ihnen haben heute das Kochzepter übernommen. "Vormittags waren sie bereits in Neukölln Fleisch einkaufen, das halal ist. So etwas bekommt man in Lichtenberg nicht", sagt Svenja Daß.
Heißer Dampf wabert über dem Herd. Der Duft von orientalischen Gewürzen zieht bereits durch den offenen Raum - Kardamom, Kümmel, Koriander. So läuft die Warenkunde nebenbei. "Seitdem die Geflüchteten auch mit uns kochen, kennt jeder unserer Jugendlichen eine Zucchini."
Geflüchtete zu Besuch im Jugendzentrum? Das "Magda"-Team war sich anfangs nicht sicher, wie die Jugendlichen reagieren würden. Deren Familien würden häufig mit der AfD und einer rechten Gesinnung sympathisieren, weiß Svenja Daß. "Wir haben viel mit ihnen geredet und ihnen klar gemacht, dass es von der Person und nicht der Nationalität abhänge, ob jemand doof ist oder nicht." Es hat funktioniert. Sie kochen nun alle gemeinsam, sitzen später um den großen Tisch und warten bis der Letzte aufgegessen hat.
*Name geändert
Weitere Infos zum Caritas-Jugendzentrum "Magda"
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