Lebenskünstler sucht Stabilität
„Über mich gibt es nicht viel zu erzählen“, sagt der 56-jährige Martin Rogge und zieht an seiner Zigarette. Der aus Hamburg stammende Mann scherzt. Und er lacht ebenso wie sein Ansprechpartner in den Caritas-Wohnheimen Ingolstadt, Karl Bacherle. Dieser meint sogleich: „Ich kenne kaum einen Menschen, der so einen kunterbunten Lebenslauf hat wie er.“ Martin Rogge möchte denn auch die Geschichten, die sein Leben geschrieben hat, nicht missen. Allerdings gab es in diesem harte Brüche und Nöte. Sonst wäre er vor dreieinhalb Jahren nicht in die Caritaseinrichtung gekommen.
Schwierige Kindheit
Seine Kindheit war schwierig: „Mein Vater war Alkoholiker, in unserer Familie gab es oft Streit und ich wurde auch geschlagen“, erzählt er. Im Alter von 14 Jahren kam Martin Rogge in ein Jugendwohnheim. Später startete er eine Lehre zum Möbeltischler, die er allerdings abbrach, weil er zum Zivildienst in Hannover einberufen wurde. Er wurde Vater. Anstatt nach dem Zivildienst seine Ausbildung abzuschließen, zog er es vor, sich und die junge Familie mit Jobs als Fensterputzer oder Lagerarbeit über Wasser zu halten. Doch seine Ehe sowie anschließend eine weitere Beziehung scheiterten. Martin Rogge reiste nach Peru, eigentlich um Urlaub zu machen. Hier lernte er erneut eine Frau kennen, heiratete wieder und blieb in Südamerika, wo er sich in Callcentern und als Deutsch-Nachhilfelehrer betätigte – und wo er sich nach eigenen Worten wohlfühlte: „Wenn ich irgendwo einmal Heimat gefunden habe, war es in Peru.“
Doch das Glück sollte nicht von Dauer sein. Seine Frau erkrankte an Krebs. Um ihr eine bestmögliche Behandlung zu ermöglichen, strebte das Paar eine gemeinsame Zukunft in Deutschland an. Martin Rogge flog zurück und sollte nach eigenen Worten vorübergehend bei einer Bekannten in Denkendorf unterkommen. Daraus wurde jedoch nichts. Der Rückkehrer lebte einige Tage auf der Straße, im Billighotel sowie in der Obdachlosenunterkunft am Franziskanerwasser in Ingolstadt. Er lernte Bruder Martin Berni, Leiter der Straßenambulanz St. Franziskus, kennen. Dieser verwies ihn an die Caritas-Wohnheime Ingolstadt.
„Es war Glück im Unglück, dass wir gerade einen Platz frei hatten“, erinnert sich der Sozialpädagoge Karl Bacherle. So zog Martin Rogge in ein Zimmer im Caritas-Wohnheim St. Alfons. Hier begann er ein neues Leben. Er musste es auch, denn seine Frau starb vor eineinviertel Jahren. „Ich fühle mich hier wohl. Hier kann ich so sein, wie ich sein will“, ist der Norddeutsche froh, in den Caritas-Wohnheimen und Werkstätten gelandet zu sein. Dazu gehört, dass hier auch sein verschobener Biorhythmus, erst am späten Vormittag aufzustehen, akzeptiert wird. Nachmittags ist der technisch und handwerklich begabte Mann drei Stunden im Caritas-Markt im Elektrobereich tätig, wo er zum Beispiel alte Computer repariert und CDs sortiert. Dadurch verdient sich der Sozialhilfeempfänger ein kleines Zubrot. „Vor allem ist es aber wichtig, dass ich so Kontakt zu vielen Menschen habe“, erklärt er.
Eigene Wohnung als Ziel
Dass Martin Rogge nach seinem turbulenten Lebenslauf in fortgeschrittenem Alter und ohne abgeschlossene Ausbildung noch eine reguläre Arbeit findet, halten er selbst wie sein Berater Karl Bacherle für unwahrscheinlich. Beide glauben und hoffen aber, dass er es schafft, wieder ein eigenständiges Leben zu führen. „Wir denken gerade an, dass Herr Rogge in eine unserer Trainingswohnungen in der Nähe der Einrichtung zieht“, verrät Bacherle einen grundlegenden nächsten Schritt, über den er mit seinem Klienten im Gespräch ist. Und der Caritasmitarbeiter ergänzt: „Ich traue ihm durchaus zu, dass er später wieder ganz selbstständig wohnen kann.“ Bei einem Auszug aus dem Wohnheim will Karl Bacherle sich darum bemühen, dass Martin Rogge seine Arbeitstherapie im Caritas-Markt weiterhin ausüben kann – dann also noch teil-, aber nicht mehr vollstationär betreut ist. „Ich will jetzt Stabilität“, bekennt Martin Rogge, der sich bisher vor allem als „Lebenskünstler“ durchschlug.