Gute Aussichten in Anklam
Roswitha Heitmann hat strahlend blaue Augen, sie sprüht vor Energie. Seit 1993 arbeitet die 51-jährige bei der Caritas in Anklam, ihr Startpunkt lag in der Familienhilfe, wo sie bis heute aktiv ist. Seit zwei Jahren koordiniert sie zusätzlich das Arbeitsprojekt auf einem Hof mit zwei Holzwerkstätten. Heitmann steht für Überblick. Den können ihre "Schützlinge" gut gebrauchen. Im Rahmen einer Bildungsmaßnahme des Jobcenters werden Menschen ohne Beschäftigung fit für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gemacht. So bauen sie zum Beispiel gemeinsam Hochsitze für die Försterei. Heitmanns Team besteht aus sechs Mitgliedern. Es wird gehämmert, gekocht, gepflanzt und genäht. Im Kern geht es darum, den zwanzig Teilnehmern soziale Kompetenzen zu vermitteln. "Viele haben längst jede Tagesstruktur und soziale Kontakte aufgegeben", erzählt Heitmann. Morgens um acht Uhr schon hier zu sein, ist für die meisten schon eine echte Herausforderung. Die Altersspanne reicht von 19 Jahren bis zu 60 Jahren, doch alle haben eins gemeinsam: "Unsere Leute müssen neu lernen, sich in eine Gruppe einzufügen und auch mal etwas anzusprechen." Damit jeder seine Stimmung beschreiben kann, hängt ein so genanntes Smiley-Barometer über dem Tisch: In zehn Stufen wechselt der Pappsmiley von enttäuscht über neutral bis hin zu zufrieden. "Das hilft den meisten, in sich hineinzuhören und konkret zu benennen, wie es ihnen geht." Sechs Monate dauert die Maßnahme, so die gelernte Erzieherin. Diese Zeit vergeht schnell. Es braucht echten Willen, etwas zu verändern, um einen neuen Weg einzuschlagen. Diesen Willen haben Roswitha Heitmann und ihr Team auf alle Fälle. Man spürt: Heitmann hat Biss und bleibt dran. "Diejenigen, die morgens Alkohol im Blut haben, dürfen erst mit der Arbeit beginnen, wenn sie wieder nüchtern sind. Aber wir bemühen uns um jeden Einzelnen, es ist ein ständiges Motivieren zum Weitermachen."
Zusätzlich zum üblichen Tagesablauf begleiten Roswitha Heitmann und ihr Team auch zu Arzt- und Zahnarztbesuchen und helfen Drogen- und Alkoholabhängigen, sich ihrer Sucht zu stellen und sich von Profis helfen zu lassen. Woher Heitmann persönlich die Kraft dazu nehme? Es sind die Erfolgsgeschichten ehemaliger Klienten, die sie antreiben. "Wir bekommen auch eine Menge Dankbarkeit und Wertschätzung zurück", sagt sie. Manuela Schwesig wollte sich das auch einmal ansehen. Die Familienministerin kam Anfang September auf den Anklamer Schülerberg, so die Adresse des Projekts, und blieb deutlich länger als geplant. In der Holzwerkstatt sprach sie angeregt mit Klienten. Die Förderung erwerbsloser Menschen überzeugte sie. Ob und wie sich der Besuch auf die Zukunft des Caritas-Arbeitsprojekts auswirkt, bleibt abzuwarten. Neue Pläne haben Roswitha Heitmann und ihr Team aber schon jetzt: "Ab Januar 2017 wollen wir zehn zusätzliche Plätze einrichten, um dann 28 Menschen zu betreuen. Momentan sind wir deshalb fieberhaft auf der Suche nach neuen Außenstandorten und Kooperationspartnern", so die Projektkoordinatorin.
Der Blick zurück auf die Geschichte des Projekts zeigt, dass man eine Menge erreichen kann, wenn man mutige Ziele und einen langen Atem hat. So wie Alexander Liebisch, den in seiner Studienzeit die Leidenschaft für das Thema Arbeit gepackt hat, weil er darin ein wichtiges Grundbedürfnis für den Menschen sieht. Der heutige Leiter der Caritas-Arbeitsprojekte setzte seine Idee zum Projekt ab 2009 in die Tat um und baute sie für drei Standorte - zwei in Pasewalk, einer in Anklam - auf. "Es war damals unser Anliegen, eine Bildung für Erwerbslose zu organisieren, die sie auch annehmen würden."
Maßgeblich neu war der Ansatz, jeden individuell nach seinen Möglichkeiten zu fördern. Liebisch erklärt, dass die Lieblingsformel der Behörden für Erwerbslose bis zu diesem Zeitpunkt aber "Klassenzimmer plus Lehrer für alle" lautete. Es folgte deshalb ein monatelanger Streit mit dem TÜV um die offizielle Anerkennung. Nur so würde das Jobcenter mit dieser neuen Maßnahme arbeiten und Klienten an die Caritas vermitteln können. "Das war eine schwere Zeit", so Liebisch. Schließlich kam der Zuschlag und der TÜV zertifizierte das Arbeitsprojekt nach und nach für alle drei Standorte. Seitdem besteht ein guter Draht zur öffentlichen Verwaltung und den ansässigen Jobcentern. Liebisch sieht aber noch größere Baustellen. Es seien bundesweit mindestens 500.000 Jobs nötig, die neu geschaffen werden müssten für Leute, die nicht mehr vermittelbar für den ersten Arbeitsmarkt seien. Es fehle ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, damit Arbeitslose neue Perspektiven finden statt krank zu werden. "Das haben wir Frau Schwesig auch mit auf den Weg gegeben." Seine Motivation sei es immer gewesen, Menschen am Rand nicht abzuschreiben, sagt Liebisch. Hinsehen, wo der Schuh drückt und die Not der Menschen ernst nehmen. Im Caritas-Arbeitsprojekt zeichnen sich für Langzeitarbeitslose oder entmutigte Jugendliche neue Perspektiven am Horizont ab. Bekanntlich sieht man vom Hochsitz aus noch viel weiter.