Misstrauen entkräften
Eine Bevölkerungsgruppe profitiert bislang jedoch kaum davon: Jene Menschen, die einen Migrationshintergrund haben. Aus diesem Grund ist in Minden jetzt eine bislang einzigartige Kooperation entstanden, die diesem Missstand abhelfen soll.
Sechs Monate lang haben Beatrix Dunker vom Fachdienst für Integration und Migration des Caritasverbandes Minden und Silke Schönfeld vom Sozialdienst katholischer Frauen zwölf ehrenamtliche Helfer im Grundlagenseminar „Gesetzliche Betreuung und Migration“ in den relevanten Aufgabenfeldern und Themenfeldern geschult. Dazu gehörten unter anderem die Vermögenssorge, die Gesundheitssorge, Informationen zu Flüchtlingen in der Betreuungssituation und dem Glauben und Lebensweisen von Mennoniten und Baptisten, die im Kreis Minden-Lübbecke sehr zahlreich leben. Das Besondere: Alle Freiwilligen haben selbst einen Migrationshintergrund – ein Novum, das viele Aspekte in der Zusammenarbeit erleichtert.
Dass der Bedarf nach Unterstützung groß ist, weiß Beatrix Dunker aus ihrem Arbeitsalltag. „Der Migrationsprozess fordert diesen Menschen einiges ab. Familienstrukturen verändern sich, Verluste sind zu verarbeiten, das Leben mit einer unsicheren Zukunftsperspektive oder auch Diskriminierungserfahrungen sind Belastungen, die einem die Kontrolle über das Leben aus der Hand nehmen können.“ Das Problem: Die wenigsten Migranten holen sich die Unterstützung, die sie eigentlich brauchten. „Viele wissen gar nicht, dass sie gesetzliche Hilfe bekommen können, weil es diese Möglichkeit in ihren Heimatländern nicht gibt. Oder aber es herrscht so ein großes Misstrauen gegenüber Behörden und Institutionen, dass sie sich nur selten freiwillig dort Hilfe suchen würden.“
Ein Misstrauen, so die Überlegung der Pädagoginnen Dunker und Schönfeld, das sicherlich entkräftet werden könnte, wenn die Betreuung durch Landsleute erfolgen könnte – oder zumindest von Menschen, die wissen, wie es ist, in einem fremden Land zu leben. Seit September 2012 sind die neuen Helfer im Einsatz. Sie geben für ihre Klienten Einwilligungen zu Operationen und Heilbehandlungen, führen Gespräche mit Ärzten und Pflegepersonal, stellen Anträge bei Krankenkassen oder kümmern sich um die Kontoverwaltung.
Zwei von ihnen sind der Palästinenser Ghassan Mohamad und die Ukrainerin Valentina Weich. Jeder von ihnen hat mittlerweile bereits Klienten betreut und die Erfahrung gemacht: Das Konzept geht auf. Schon dadurch, dass sie selbst einen Migrationshintergrund haben oder dieselbe Muttersprache sprechen wie ihre Klienten, gibt es einen großen Vertrauensvorschuss. Behutsam und mit viel Einfühlungsvermögen nutzen sie diesen Bonus, um ihre Landsleute zu informieren und ihre Interessen zu vertreten.
Valentina Weich organisiert derzeit das Leben eines jungen Ukrainers, der nicht mehr bei seinen Eltern leben kann. „Er würde dennoch keinen der Schritte tun, die wir beschließen, ohne sich an seine Eltern und Großeltern zu wenden.“ Weil es aber eine Landsmännin ist, die von den deutschen Behörden geschickt wird, hat die Familie Zutrauen gefasst – die Zusammenarbeit läuft. Etwas anders und fast schon paradox liegt die Situation bei Ghassan Mohamad. Der 46-Jährige spricht arabisch, russisch, englisch und ukrainisch, hat er sich bislang aber um zwei deutsche Klienten gekümmert. „Das hat sich so ergeben und die Chemie stimmte“, sagt Mohamad und lacht.
Beatrix Dunker und Silke Schönfeld sind bislang vollauf zufrieden mit ihren ehrenamtlichen Helfern. Gern würden sie das Projekt wiederholen und weiter ausbauen. Doch die Gelder, die das Land dem Modellversuch zur Verfügung gestellt hat, sind aufgebraucht. Dabei kann in den Augen der Pädagoginnen gar nicht genug in diesen Bereich der gesetzlichen Betreuung investiert werden. Zahlen, die den Bedarf für den Kreis Minden-Lübbecke, für das Land Nordrhein-Westfalen oder die Bundesrepublik dokumentieren, gibt es bislang nicht. Schätzungen datieren den Anteil rechtlich betreuter Migranten bundesweit auf ein Prozent. Lediglich für den SkF kann Silke Schönfeld genaue Angaben machen: „Im Schnitt haben von 30 Betreuten sieben einen Migrationshintergrund, das entspricht also einem Anteil von 20 Prozent.“ Valentina Weich und Ghassan Mohamad sind glücklich, dass sie zu den Vorreitern gehören dürfen. „Ich habe so viel Unterstützung erfahren, als ich vor elf Jahren nach Deutschland kam“, sagt Mohamad. „Und davon kann ich jetzt einen Teil zurückgeben.“