Auf der Bühne die Herzen berührt
Im Rahmen eines internationalen Theaterfestes in Paderborn traten sie zum ersten Mal auf. Eine Aufführung, die gleich mehrfach eine Premiere war.
„Guter Sitz – Guter Stand!“ Während der Probe ruft Christa Hökel das immer wieder. Damit ermuntert sie die Teilnehmer, auf die richtige Haltung zu achten. Sechs Glockenschläge ertönen, dann „Theater, Theater“ von Katja Ebstein. Die Teilnehmer bewegen sich im Rhythmus und wissen nun, dass die Probe beginnt. „Rituale sind wichtig, sie geben Sicherheit“, erklärt die 54-Jährige, die mit viel Herzblut dabei ist.
Drei Monate probte Christa Hökel mit 20 Werkstattbeschäftigten intensiv. Die Mitglieder der Theatergruppe arbeiten in den Schlosswerkstätten und Werkstätten St. Nikolaus des Vereins Caritas Wohn- und Werkstätten im Erzbistum Paderborn. Die Proben bringen ganz besondere Herausforderungen mit sich. „So ein Stück ist bis ins Detail nie planbar“, erklärt Christa Hökel. „Ich weiß nicht, ob die Menschen mit Behinderung, mit denen ich geübt habe, auch wirklich da sind. Das hängt von der körperlichen und seelischen Tagesverfassung ab. Daher sind wir sicherlich eine der flexibelsten Theatergruppen.“ Der Auftritt ist denn auch eine mehrfache Premiere. „Wir hatten zuvor keine Generalprobe“, sagt die Theaterpädagogin. „Da die Teilnehmer aus unterschiedlichen Betriebsstätten kommen, haben sie sich zuvor nicht einmal gesehen.“
Dann ist der große Tag gekommen. Insgesamt 15 Theatergruppen aus dem In- und Ausland – darunter erstmals eine Gruppe von Menschen mit Handicap – treten im Jugendkulturzentrum „MultiCult“ in Paderborn auf. Von „Menschen-Künstler“ sind alle Teilnehmer gekommen, Christa Hökel ist erleichtert. Die Gruppe trifft sich bereits eine Stunde vorher, um sich an die Räumlichkeiten zu gewöhnen. Dann geht der Vorhang auf und die 20 Schauspieler treten auf die Bühne.
Aufgeführt wird das Stück „Irgendwie Anders“ in Anlehnung an das gleichnamige Buch von Kathryn Cave und Chris Riddel. „Irgendwie Anders“ lebt ganz alleine und hat keinen einzigen Freund. Er ist bemüht, den anderen zu gefallen, aber die anderen wollen nichts mit ihm zu tun haben. Bis eines Tages „Irgendwie Etwas“ zu ihm kommt. Es geht um „Anders sein“, Ausgrenzung, Mut, Freundschaft und Zivilcourage. Das Stück hat Christa Hökel auf die Fähigkeiten der Teilnehmer zugeschnitten. So hat sie für einen der Hauptdarsteller extra den Moon-Walk von Michael Jackson eingebaut. „Wir schreiben auch Texte um, so dass sie die Menschen mit Behinderung leichter aussprechen können“, erklärt Christa Hökel. Nebeneffekt: Die Schauspieler machen logopädische Fortschritte.
Als der Vorhang fällt, sind die mehr als 200 Zuschauer im voll besetzten „MultiCult“ begeistert, Tränen der Rührung fließen. Die Schauspieler sind glücklich und stolz, die Premiere war ein voller Erfolg. Christa Hökel ist erleichtert „Wir haben die Herzen berührt, wichtige Themen angesprochen und einen gelebten Beitrag zur Inklusion geleistet!“