Beratung für suizidgefährdete Jugendliche
Timo Spiewak sprach für die Sozialcourage mit Projektleiterin Nina von Ohlen (39) und den beiden Ehrenamtlichen Lena (23) und Patrick (21).
Sozialcourage: Wie entstand das Projekt [U25]?
Nina von Ohlen:Das Projekt läuft bereits seit zehn Jahren erfolgreich in Freiburg. Man hat festgestellt, dass Jugendliche und junge Erwachsene nur selten in eine Beratungsstelle gehen. Gleichzeitig spielt das Thema Suizid in den sozialen Netzwerken und den Foren eine immer größere Rolle. Durch Mittel der Glücksspirale und des Deutschen Caritasverbandes gibt es nun weitere Standorte in Berlin, Dresden, Gelsenkirchen und eben seit 2013 auch in Hamburg
Bei diesem Online-Angebot werden jugendliche Hilfesuchende ausschließlich von Gleichaltrigen beraten. Warum?
Von Ohlen: Wir erreichen so die Zielgruppe besser. Jugendliche haben eine ganz andere Sprache. Sie können auf die Ratsuchenden besser eingehen als Erwachsene, weil sie ihre Probleme kennen. Sie wissen was es heißt, Prüfungsstress oder Ärger mit den Eltern zu haben.
Wie sind Sie zu Ihrem Ehrenamt gekommen?
Lena: Ich hatte überlegt, etwas Ehrenamtliches neben meinem Studium zu machen. Gerne mit Gleichaltrigen, wusste aber nicht genau, was es sein kann. Und da habe ich in der Uni den Aushang gelesen, dass IN VIA für dieses Projekt noch junge Leute sucht.
Patrick: Ich engagiere mich bereits in der Kinder- und Jugendarbeit. Der Gedanke, auf Augenhöhe helfen zu können, hat mich sehr interessiert. Ich habe dann aus Neugier einfach eine Mail geschrieben und nachgefragt.
Und wie ging es dann weiter?
Von Ohlen: Bereits nach kurzer Zeit hatten sich 20 Jugendliche gemeldet. Ich habe mit allen Gespräche geführt, offene Fragen geklärt und natürlich auch geschaut, ob dieses Ehrenamt für den Jugendlichen in Frage kommt. Im April 2013 konnte dann die Ausbildung mit elf Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahren starten.
Lena: Wir hatten eine gute Gruppe. Die Altersspanne war besonders interessant und es zeigte sich, dass das Alter fast keinen Unterschied ausmacht.
Patrick: Jeder konnte sich einbringen. Es war eine gute und praxisorientierte Ausbildung, die sehr in die Tiefe ging.
Im September war dann der offizielle Start?
Von Ohlen: Nachdem die Homepage freigeschaltet worden war, kamen schnell die ersten Mailanfragen. Wir saßen dann gemeinsam zusammen und alle Anfragen lagen auf dem Tisch. Jeder sollte nun nach Bauchgefühl entscheiden, welche Anfrage er übernimmt.
Lena: Bei der ersten Mail war ich schon aufgeregt. Es war jetzt nicht mehr theoretisch.
Patrick: Ich war auch nervös, denn ich wollte natürlich keinen Fehler machen.
Wie funktioniert die Beratung?
Von Ohlen: Hilfesuchende können über die Homepage www.u25-hamburg.de Kontakt zu den Beratern aufnehmen und ihr Anliegen schildern. Die Beratung ist kostenlos und anonym. Spätestens nach 48 Stunden erhalten sie eine Rückmeldung und innerhalb von sieben Tagen eine Antwort.
Patrick: Ich muss jede Anfrage erst einmal sacken lassen, überlegen, wie es dem Hilfesuchenden jetzt geht. Es wichtig, zwei, drei oder auch noch mehr Tage Zeit zu haben, bevor ich eine Mail beantworte.
Lena: Ich brauche oft sieben Tage. Erst dann bin ich bereit, eine Mail zu schreiben.
Von Ohlen: Jede ausgehende Mail lese ich zudem vorher durch und bespreche sie gegebenenfalls mit dem Ehrenamtlichen.
Es gibt also keine Chat-Beratung, die Anfragen werden nicht sofort beantwortet?
Von Ohlen: Bewusst nicht. Wir bieten Lebenshilfe an und sind keine professionellen Psychotherapeuten. Die Hilfesuchenden schreiben, dass sie sich beispielsweise selbst nicht mehr ertragen können und meinen, ihr Leben hätte keinen Sinn mehr. Sie stehen aber nicht auf der Brücke oder an den Zuggleisen.
Lena: Wer eine Mail schreibt, der möchte, dass ihm geholfen wird.
Von Ohlen: Wesentlich sind Kontakt und Kommunikation. Suizid entsteht ja, weil keine Kommunikation mehr stattfindet und man das Gefühl hat, es gibt nichts mehr, was hilft.
Patrick: Und es tut dem anderen gut, dass jemand zuhört oder sich mitteilt. Wenn es gewünscht wird, geben wir auch Adressen von anderen Hilfsangeboten weiter.
Wie gehen Sie selbst mit den schwierigen Anfragen um? Tauschen Sie sich regelmäßig untereinander aus?
Von Ohlen: Wir treffen uns alle 14 Tage zur Supervision. Diese ist für alle Krisenberater verpflichtend.
Patrick: Es ist sehr entlastend, einen geschützten Raum zu haben und im Team über alles sprechen zu können.
Lena: Die Supervision ist für mich eine wichtige Möglichkeit, offen zu sein. Sie ist sehr fruchtbar. Ich nehme aber auch die Anfragen mit in meinen Alltag. Deshalb schaue ich nur ein bis zweimal wöchentlich in die Mails und bin froh, das wir Nina (Anmerkung der Red.: Nina von Ohlen) jederzeit anrufen können.
Patrick: Ich sage mir aber auch, dass ich nicht da bin, um Menschen zu verändern. Ich will sie begleiten, ihnen einen Weg zeigen.
Wie ist die Nachfrage in den ersten Monaten?
Von Ohlen: Der Bedarf ist sehr groß. Wir haben allerdings zu wenige Krisenberater und wollen daher auf jeden Fall noch einen zweiten und dritten Ausbildungsdurchgang anbieten.
Jugendliche, die Interesse an diesem Ehrenamt haben, können sich somit bei Ihnen melden?
Von Ohlen: Ja, sehr gerne. Der zweite Ausbildungsdurchgang läuft zurzeit. Aber für den Dritten suchen wir noch ehrenamtliche Krisenberater. Ich freue mich über jede Anfrage.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Projekts?
Lena. Ich wünsche mir für das Projekt einen Sponsor, da [U25] nur bis Oktober 2014 gesichert ist.
Patrick: Dass [U25] noch bekannter wird. Alle sollen es kennen, die es brauchen.
Von Ohlen: Ich möchte mit dem Thema Suizid gern an die Schulen. Wir müssen raus an die Öffentlichkeit. Das Thema darf nicht weiter tabuisiert werden, damit es nicht mehr so häufig passiert.
Kontakt: Nina von Ohlen, Tel. 040.79612665, vonohlen@invia-hamburg.de,
www.u25-hamburg.de