Eine Werft im Klassenzimmer
Es ist ein ganz besonderer Weltrekord den sich 20 Schüler der Förderschule des Salvator Kollegs in Hövelhof an diesem Tag vorgenommen haben: Mit einem aus Pappe, Papier und Kleber selbst gebastelten Boot wollen sie eine Strecke von 250 Metern über den nahen Lippesee fahren - bevor es aufweicht und sinkt.
Fünf Monate haben die Schüler gebraucht, um aus Unmengen von Papier und Pappe ein Boot zu bauen, das einer römischen Galeere nachempfunden ist. "Das Klassenzimmer sah aus wie eine Werft", erzählt Schulleiter Reinhard Westermilies. Als die Schüler das Boot mit dem Namen "Aries" ans Wasser tragen, ist dem ein oder anderen mulmig zumute. "Ich habe schlecht geschlafen", gesteht einer. Immerhin könnte die Galeere kentern. "Aber ich kann schwimmen." Und schließlich haben die Schüler ihr Boot diesmal größer und massiver gebaut als in den Jahren zuvor. Seit 2012 veranstaltet die Schule des Salvator Kollegs immer kurz vor den Sommerferien eine Papierboot-Regatta. Eine Lehrerin der Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung hatte die Idee von der Nordseeküste mitgebracht, wo an vielen Orten Regatten mit Papierbooten ausgetragen werden, etwa auf Spiekeroog, in Varel oder Büsum. Für Reinhard Westermilies ist es die ideale Aktion, um seine Schüler zu motivieren. "Wir versuchen sie über solche Aktionen zu packen", erklärt er. Denn so mancher ist woanders von der Schule geflogen oder gilt als "nicht beschulbar". "Wir sagen ihnen nicht, was sie nicht können, sondern, was sie können."
Diesmal haben die Schüler nicht jeder ein eigenes Boot gebaut und treten auch nicht gegeneinander an wie in den Jahren zuvor. Gemeinsam haben sie diesmal ein einziges Pappboot mit ungeahnten Ausmaßen gebaut: 8,30 Meter ist das Boot mit Widderkopf lang, 2,40 Meter breit. Festgehalten hat die Maße Olaf Kuchenbecker vom Deutschen Rekord Institut. Er überwacht den korrekten Verlauf des Weltrekordversuchs. Zweimal 125 Meter müssen zurückgelegt werden - mit einem riskanten Wendemanöver um eine kleine Boje. Der bisherige Größenweltrekord wurde in Bremerhaven aufgestellt, wo 2015 vom Deutschen Schiffbaumuseum das mit 5,50 Meter Länge und 2 Meter Breite bislang größte Boot dieser Art gebaut und gefahren wurde. Allerdings wurde es durch das Imprägnieren mit Wachsöl haltbarer gemacht.
Auf wasserabweisende Materialien haben die Förderschüler aus dem ostwestfälischen Binnenland ganz verzichtet. Unter dem Kommando von Kapitän Patryk läuft die Galeere mit ihren 20 Mann Besatzung aus. Der Start verläuft holprig. Das Papierboot fährt in Schlangenlinien. Dann finden die Paddler nach und nach einen gemeinsamen Rhythmus, das Boot schiebt sich voran. Die Wende gelingt ohne Probleme. Auf dem Rückweg wächst die Zuversicht, Schaulustige am Strand feuern die Jungs an. Als die Besatzung das Ufer erreicht, ist der Jubel groß. Die Jungs reißen die Arme in die Höhe. Weltrekord!
"Erst habe ich gedacht: Mein Gott, die kommen nie an", gesteht Schulleiter Westermilies. "Aber das Boot war so gut, das hätte wohl auch 500 Meter gehalten", staunt er und lobt die Weltrekordler: "Respekt! Da war Disziplin nötig. Diese Leistung ist was Besonderes. Dieser Weltrekord wird wohl lange halten."