Jugendliche gestalten Memory
Da gibt es diese beiden Karten, die zusammengehören: Die eine zeigt die 15 Jahre alte Kinda, die von einer Anhöhe auf ihre syrische Heimatstadt Aleppo blickt, aus der sie fliehen musste. Auf dem Rücken des Mädchens sind Flügel montiert. Die zweite Karte zeigt Kinda im Breyeller Wohngebiet Speckerfeld, wo sie heute lebt. Die Flügel sind verschwunden. Sie ist gelandet. Und angekommen.
"Who am I - Wer bin ich?" Kreative Antworten auf diese Frage haben Kinda und elf weitere Jugendliche aus verschiedenen Nationen gesucht, die am Kulturprojekt im Bürgerbüro Breyell des Caritasverbandes für die Region Kempen-Viersen teilgenommen haben. Eine Woche lang haben sich die 13- bis 18-Jährigen mit sich und ihren Gefühlen, mit ihrer Herkunft und mit ihrer neuen Heimat beschäftigt. Sie haben gezeichnet und fotografiert, mit Gips gestaltet und Bilder am PC bearbeitet. Aus ihren Bildern und Collagen ist ein sogenanntes "unechtes Memory" mit 64 Karten entstanden. Keine zwei Motive sind gleich, und doch können, wie bei den beiden Fotos von Kinda, Karten-Paare gebildet werden.
Freude, Traurigkeit, Glück, Nachdenklichkeit, Entschlossenheit, Kampf, Mut, Angst, Sehnsucht, Zuversicht - die Gefühle der Jugendlichen spiegeln sich in den Bildern auf den Memory-Karten. Nurdzahn hatte sich die Flagge ihres Heimatlandes in Herzform auf den Arm gemalt, ein weißer Pfeil geht hindurch. "Bulgarien lebt immer in meinem Herzen", sagt die 15-Jährige, die vor drei Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen ist. Ihre Großeltern leben noch in dem bulgarischen Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. "Ich vermisse die Heimat", erzählt Nurdzahn, die in die 9. Klasse des Werner-Jaeger-Gymnasiums in Lobberich geht und gerne Bankkauffrau werden möchte. Aber sie sagt auch: "Ich bin glücklich hier."
Nurdzahn hat ihre Mitschülerin Vera ebenfalls für das Projekt begeistern können. Die 14-Jährige hat ein Porträtfoto von sich halbiert und die zweite Hälfte ihres Gesichts gezeichnet. "Wir sehen bei einem anderen Menschen immer nur die Fassade. Aber danach sollte man jemanden nicht beurteilen - vielleicht macht dieser Mensch gerade die schlimmste Zeit seines Lebens durch", erläutert sie. Auch Ahmed Mohamed hat mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken vor der Kamera gestanden. Vor zweieinhalb Jahren ist der 14-Jährige aus Syrien mit seinen beiden Brüdern nach Nettetal gekommen. Seine Eltern hat er seit Jahren nicht mehr gesehen, sie sitzen in der Türkei fest.
Zusammenwachsen und voneinander lernen, die Vielfältigkeit in der Gruppe spüren und neue Freundschaften schätzen - all das konnten die zwölf jungen Menschen während des Projekts. "Die Jugendlichen sind in Deutschland angekommen, sie machen ihre Schulabschlüsse und werden Berufe erlernen. Das sind tolle Geschichten, die wir hier erzählen können, und es ist einfach schön, dass junge Menschen aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern zusammengekommen sind, um sich damit zu beschäftigen, wie sie sich sehen und fühlen", sagt Manuela Nazemi-Bogda, die Leiterin des Bürgerbüros Breyell.
Nach den "Kulturfahnen" (2016) und dem 2017 entstandenen Buch "Einfach anders" war es bereits das dritte Kulturprojekt, das im Bürgerbüro Breyell durchgeführt wurde. Erneut übernahm die Willicher Künstlerin Beate Krempe die künstlerische Leitung, unterstützt von ihrem kurdischen Kollegen Waleed Ibrahim. Auch "Who am I" war ein Projekt der LAG Kunst&Medien NRW e.V. (Veranstalter) in Kooperation mit dem Bürgerbüro Breyell und gefördert durch das Ministerium für Frauen, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW. "Wir freuen uns sehr, dass wir in der Caritas einen so zuverlässigen Partner haben", betonte LAG-Bildungsreferentin Fleur Vogel während der Präsentation in Nettetal.
Auf das Ergebnis sind die Jugendlichen zurecht stolz. "Und wer weiß, vielleicht werden sich irgendwann einmal ihre eigenen Kinder mit den Karten beschäftigen", sagt Christian Schrödter, Vorstand des Caritasverbandes für die Region Kempen-Viersen, und verweist damit auch auf die Nachhaltigkeit dieses Kulturprojekts.