In der "Guten Stube" wird Vergangenheit lebendig
Von der Tasse mit Goldrand, die früher in keinem eichernen Wohnzimmerschrank fehlen durfte, spinnt sich das Gespräch über alte Apfelsorten zu selbstgenähten Hosen und Kleidern für die Kinder. "Wir mussten sparen, wir hatten ja kaum Geld". Die alte Dame erinnert sich gut an die Zeit, in der ihre Kinder klein waren. Was gestern war, ist längst vergessen. Dafür wird die Vergangenheit umso lebendiger im "Raum der Erinnerung" im Altenheim St. Martinus in Elten, einem Stadtteil von Emmerich. Gerne treffen sich die Gäste der Tagespflege und Bewohner hier, umgeben von den Dingen, die ihnen aus jungen Jahren vertraut sind. Er ist das Abschlussprojekt im Rahmen einer gerontotherapeutischen Ausbildung. Heimleiter Hans-Wilhelm Paeßens hat es gerne unterstützt: "Wir wollen den Bewohnern Anknüpfungspunkte zu ihrem früheren Leben geben."
Der ehemalige Kunstraum ist in eine "Gute Stube" verwandelt worden. Goldfarbene, gemusterte Tapeten an der Wand, eine schwere Couchgarnitur, das Ecktischchen mit der Stehlampe drauf und dem grauen Telefon mit Wählscheibe darunter machen sie gemütlich. Selbst die tickende Wanduhr fehlt nicht. Anknüpfungspunkte für Erinnerungen bieten auch die Nähmaschine und das Spinnrad. Alles ist privat gespendet. "Man hat hier das Gefühl, man geht in die Vergangenheit", sagt Gaby Eggert, die die Tagespflege leitet. Das gibt einen sicheren Rahmen, die überwiegend demenzkranken alten Menschen werden gleich ruhig. Die Umgebung ist vertraut.
Gerne nutzen Sozialdienst und Tagespflege den Raum für das Gedächtnistraining. Da reicht dann die Tasse mit Goldrand, um von "Hölzken auf Stöcksken" zu kommen. Hier ergibt sich für Hans-Wilhelm Paeßens eine "Kommunikation, die sonst kaum möglich ist". Jeder kann sich einklinken und beteiligen. Diese Gespräche und das Eingehen aufeinander sei tatsächlich für den Menschen die größte mentale Herausforderung. "Sie aktiviert das meiste Gehirnpotential und schafft Wohlbefinden", sagt Paeßens.
Nach Mühe sieht es allerdings in der Guten Stube nicht aus. Die Herbstsonne scheint durch die große Front in den ehemaligen Kunstraum. Antje Schäfer-Bauning liest die örtliche Zeitung vor. Natürlich werden auch die Todesanzeigen kommentiert. Fußball ist nicht Schäfer-Baunings Domäne, aber das Thema interessiert insbesondere die Männer in der Runde. Zu fast allem gibt es etwas zu sagen und immer wieder schweift das lockere Gespräch in die Vergangenheit ab. Das Langzeitgedächtnis funktioniert bei Demenz häufig noch gut. Vor allem die Zeit der eigenen Familiengründung bleibt lebendig.
Ein wenig Moderne ist allerdings in den Raum schon eingebrochen. Das Radio ist neu, aber in altem Gewand getarnt. Ganz neu steht hinter der Tischlampe auf dem Ecktisch ein W-Lan-Router, denn die Pflegeplanung wird jetzt auf EDV umgestellt. Für Gaby Eggert eine Herausforderung und für die Runde im Raum der Erinnerung ganz weit weg.