Stark und mutig wie ein „Drachenflieger“
"Laura soll es besser machen. Verdrängen ist keine Lösung." Ulrike H. gibt zu, dass sie für diese Erkenntnis lange gebraucht. Gemeinsam mit ihrer neunjährigen Tochter nimmt sie seit einigen Monaten am Projekt "Drachenflieger" teil, ein therapeutisch begleitetes Gruppenangebot, das der Caritasverband Wuppertal/Solingen für Kinder aus suchtbelasteten Familien konzipiert hat.
Schon ihr Vater trank. Ihr älterer Bruder starb mit 30 Jahren an Drogen. Doch Sucht war in ihrer Kindheit und Jugend kein Familienthema. "Wegschweigen - das war die Devise", erinnert sich Ulrike H. heute. Sie heiratete mit Ende 20, bald wurde Laura geboren. Dass ihr Mann nach der Arbeit einen halben Kasten Bier konsumierte, "übersah" sie lange. Als sie vor einigen Jahren dagegen aufbegehrte, endete die kurze Trennung nach drei Monaten. Von da an setzte sie alles daran, ihre kleine Familie in eine scheinbare Normalität zu managen. "Ich habe alles alleine bewältigt, meinen Mann total entlastet und war abends völlig erschlagen."
Im vergangenen Jahr begann Laura ihrer häufig deprimierten und nervösen Mutter Fragen zu stellen. "Mama, warst du eigentlich früher mal mit Papa glücklich?" Ulrike H. reflektierte die Familiensituation und machte sich Sorgen um ihr Kind. Auch die Übergewichtigkeit der Kleinen sah sie nun mit neuen Augen: "Ich habe begriffen, dass Laura sich ihren Frust wegfuttern wollte."
Eine Suchtberaterin der Caritas in Solingen machte Ulrike H. Mut: "Sie können etwas an ihrer Co-Abhängigkeit ändern. Tun Sie es für sich und Laura!" Ulrike H. lernte "Drachenflieger" kennen. Zuhause erzählte sie ihrem Mann von dem Projekt, das aus einer Kindergruppe und einer begleitenden Erwachsenengruppe besteht. "Der ist ausgerastet. Er sei kein Alkoholiker und deshalb brauche niemand in der Familie eine Therapie.", erzählt Ulrike H. von diesem Abend, an dem sie beschloss, sich nun wirklich zu trennen.
Einmal wöchentlich kommt Laura seitdem zu den "Drachenfliegern" in das Familienhilfezentrum des Caritasverbandes. Hier finden Kinder aus suchtbelasteten Familien einen geschützten Rahmen, um ihre eigenen Stärken zu erkennen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und ihre Gefühle und Bedürfnisse besser wahr zu nehmen. Es wird gespielt, gemalt, erzählt und zugehört.
Leider bleiben die Stühle in der Erwachsenengruppe oft leer. "Manchmal bin ich die einzige. Das ist schade, denn eine Gruppe macht den einzelnen stärker.", bedauert Ulrike H.. Sie weiß, wie viel Kraft es braucht, gegen das Verdrängen zu siegen. "Doch erst dann kann man die Erziehung seiner Kinder wieder bewusst in die Hand nehmen." Für Laura wünscht sie sich einen einfacheren Weg. "Sie soll Probleme erkennen können und das Selbstbewusstsein haben, sie zu benennen." Mutig soll sie werden, stark und frei - wie ein Drachenflieger eben.
Susanne Bossy