Weiße Flecken der DDR-Geschichte
Seit einigen Jahren wird in Deutschland eine intensive Diskussion über die Heimerziehung in den 50-er bis 70-er Jahren in der Bundesrepublik geführt. Ausgangspunkt dieser Debatte sind Veröffentlichungen von Journalisten. Darin beschreiben sie das Leid, das Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen erlitten haben und berichten von den Folgen, die die ehemaligen Heimbewohner bis heute tragen. Die Diskussion führte zur Einsetzung eines Runden Tisches, der sich mit den Problemen und den Folgen der Heimunterbringung beschäftigt.
Inzwischen hat der Runde Tisch Empfehlungen verabschiedet, zu denen auch die Einrichtung eines Fonds gehört. Die Mittel aus diesem Fonds sollen eingesetzt werden, um bei Traumatisierungen und andere bestehende Folgeschäden zu helfen. Außerdem sollen ehemalige Heimbewohner bei der Aufarbeitung ihrer Heimzeit unterstützt und ein Ausgleich für nicht gezahlte Sozialversicherungen möglich sein. In diesen Fonds haben auch die katholischen (Erz-)Bistümer, der Deutsche Caritasverband und die Ordensgemeinschaften eingezahlt. Betroffene ehemalige Heimbewohner können seit Januar 2012 bei den Beratungsstellen der westdeutschen Bundesländer und Berlins Anträge stellen.
Keine Reform der Heimerziehung
Ganz anders ist die Situation in den ostdeutschen Bundesländern. Dies wurde deutlich bei einer Fachtagung, zu der die Brandenburger Landesregierung Betroffene und auch Fachleute eingeladen hat. Auch in der DDR haben Kinder und Jugendliche schweres Leid und Unrecht in Heimen erfahren. Hier gab es keine Reform der Heimerziehung wie in der alten Bundesrepublik in den 70-er Jahren, sodass diese Leidenszeit für viele bis 1989 andauerte.
In der gesellschaftlichen Diskussion zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte spielt die Heimerziehung bisher kaum eine Rolle. Vielleicht wurde übersehen, dass zwar der Erziehungsstil, der auf Gehorsam, Ordnung und Fleiß setzt, in der DDR und der Bundesrepublik fast gleich, aber die Ziele der Heimerziehung und auch die Gründe der Heimeinweisung in der DDR ganz andere waren.
Politische Lösung finden
Hier ging es um die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit und um die Anpassung an das System nach dem Lehrsatz: "Das Kollektiv ist alles, ich bin nichts." Einweisungen hatten oft keine pädagogischen oder familiären Gründe, sondern waren politisch motiviert, um Jugendliche oder Eltern, die von der Norm abwichen, an das System anzupassen und unter Druck zu setzen. Die Menschen, die auf diese Weise systembedingtes Unrecht erleiden mussten, haben bis heute kaum Anspruch auf Rehabilitierung. Diese Menschen warten auf eine staatliche Bescheinigung, die bestätigt, dass sie Unrecht erlitten haben. Hier muss dringend eine politische Lösung gefunden werden.
Keine Chance auf gute Bildung
Zu diesem Unrecht gehört, dass Heimkinder keine Chance auf eine gute allgemeine und berufliche Bildung hatten. Die meisten besuchten die Schule nur acht Jahre und wurden danach zu Hilfsarbeitern. Deshalb sind viele heute arbeitslos.
Manche, die schon als Kinder in Heimen waren, wissen bis heute nicht, zu welcher Zeit sie wo gelebt haben. Andere wollen die Gründe für ihre Heimeinweisung wissen. Bei der Suche in Akten und Archiven stoßen sie aber auf viele Schwierigkeiten. Teilweise treffen sie auf Mitarbeiter in Behörden, die auch vor der Wende dort tätig waren und kein Interesse an einer Aufarbeitung haben. Manche ehemalige Heimbewohner leiden an Gesundheitsschäden, zum Beispiel Traumatisierungen. Dies wird von den Krankenkassen aber oft nicht anerkannt und deshalb auch nicht angemessen behandelt.
Erste Schritte getan
Ein ganz besonderer Aspekt der Heimerziehung in der DDR sind die Heime in kirchlicher Trägerschaft. Nach dem Krieg gab es diese in größerer Zahl. Einige haben es geschafft, bis zum Ende der DDR zu bestehen. Auch die Geschichte und Geschichten dieser Einrichtungen, ihrer Bewohner und ihrer Mitarbeiter sowie die dort angewendeten pädagogischen Grundsätze und Methoden müssen noch in den Blick genommen werden.
All diese Fragen sollten geklärt werden. Die zuständigen Minister der neuen Bundesländer haben bereits beschlossen, sich den Empfehlungen des Runden Tisches anzuschließen und einen entsprechenden Fonds einzurichten. Die Grundlagen dafür sollen bis zum Sommer 2012 gelegt sein. Außerdem wird in Brandenburg derzeit ein Beratungsnetzwerk aufgebaut, an das sich die Betroffenen mit ihren Fragen und Problemen wenden können.
Die ersten Schritte sind getan, trotzdem ist es noch ein langer Weg, bis diese weißen Flecken in der Aufarbeitung der "Diktatur des Proletariats" getilgt sind.
Das Interview mit einer Betroffenen finden Sie unter "Eine Zeugin berichtet".