„Ich dachte, ich würde sterben“
Bayan ist eines von 23 Mädchen, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Mädchenheim Gauting leben. Im Sommer hat sie den Hauptschulabschluss bestanden, jetzt will sie das Abitur machen, um ihren großen Traum vom Medizinstudium zu verwirklichen. Sie wollte schon immer Ärztin werden, und schließlich hat sie für diesen Traum ihr Leben riskiert.
Die heute 18-Jährige kommt aus einer iranischen Kleinstadt nahe der irakischen Grenze. Als sie mit 16 Jahren die Oberschule besuchen wollte, die ihr später das Medizinstudium ermöglicht hätte, wurde sie nicht zugelassen, weil sie aus einer regimekritischen kurdischen Familie stammt. Mitglieder der Familie hatten das Land schon verlassen. Ihr Vater wurde vom Geheimdienst überwacht, schon oft war er im Gefängnis. Auch Bayan selbst hatte immer wieder Probleme mit der Polizei, weil sie nicht genug verschleiert war.
Bayan will weg. Ihr Vater stimmt ihrem Plan zu, zu ihrem Onkel nach Schweden zu gehen. Einfach aus dem Iran ausreisen darf sie nicht. Das klappt erst, als sie vorgibt, zu einer Pilgerstätte in den Irak zu fahren. Vom Irak helfen Kurden ihr in die Türkei. Dort "fängt die schwierige Zeit an", erzählt sie. Ihr Onkel heuert einen Schlepper an, der sie nach Griechenland bringen soll. In Athen will er sie abholen und mit nach Schweden nehmen. Doch es kommt anders.
In der Hand von Schleppern
Mit 30 Frauen, Männern und Kindern wird Bayan von Schleppern zu Fuß durch unwegsames Gelände ans türkische Meerufer gebracht. Sie ist allein auf sich gestellt, weiß nicht, wo sie ist. Die Gruppe läuft nur nachts und ohne Licht. Der Anführer der Gruppe schlägt mit einer Machete einen Pfad in die Wildnis, niemand kann Dornenzweige oder Stolpersteine erkennen. "Viele aus der Gruppe haben sich verletzt, aber es gab kein Verbandsmaterial", erzählt Bayan. "Und wer nicht mehr konnte, blieb zurück." Als die Gruppe endlich das Meer erreicht, gibt es zwei kleine Boote, in denen normalerweise zwei Personen Platz haben. In der Nacht pferchen die Schlepper acht Menschen in ein Boot. Bayan ist darunter. Die anderen bleiben einfach am Strand zurück.
Die Boote haben keine Segel und keine Paddel, der Anführer weist sie an, mit den Händen zu rudern. Nach etwa einer Stunde schlägt ihr Boot leck und läuft mit Wasser voll. "Schwimmt oder geht unter!", schreit der Anführer, und Bayan springt ins Wasser. "Ich hatte so viel Angst", sagt sie. "Ich dachte, ich würde sterben." Sie erreicht einen Strand in Griechenland. Sie ist gerettet. Drei aus ihrem Boot hat sie nie mehr gesehen.
Aus dem Fluchtziel Schweden wird Bayern
Ihr Onkel reist zu ihr nach Griechenland. Gemeinsam brechen sie mit dem Auto nach Schweden auf. Mit der Fähre setzen sie nach Italien über, durch Österreich geht es nach Deutschland. Die Polizei in Rosenheim erkennt den gefälschten Pass. Ihr Onkel wird verdächtigt, ein professioneller Schlepper zu sein, und kommt ins Gefängnis. Bayan wird in die Erstaufnahmeeinrichtung in München gebracht und stellt den Asylantrag. Ihr Onkel wird wieder freigelassen und kann nach Schweden zurückkehren, aber sie muss hierbleiben.
Die ersten Monate in der Asylunterkunft seien sehr schwer gewesen. Bayan hat sich allein und verlassen gefühlt und jeden Tag geweint. Nach dem ersten Deutschkurs ist für sie vieles leichter. Mit niemandem sprechen zu können war für sie am schlimmsten. Jetzt wird alles gut, hofft sie. Bis auf die Unsicherheit, ob sie als politischer Flüchtling anerkannt wird. Lange kann das Asylverfahren nicht mehr dauern. Am Traum, Medizin zu studieren, hält sie entschlossen fest. Nicht alle Mädchen seien so erfolgreich in der Schule, sagt Marta Friedt, die sich im Caritas-Jugendbüro um die Flüchtlinge kümmert. Dass Bayan irgendwann Ärztin sein wird, davon ist Friedt überzeugt: "Sie ist so eine starke Persönlichkeit."