Gundelfingen steckt voller Talente
Ursprünglich waren sie fünf Frauen, und es gab wenige Flüchtlinge in Gundelfingen. Judith Knöbber, Kirstin Bertram, Roswitha Strauß-Platzer, Jean Tracy und Ursula Mohr war es ein Anliegen, mit ihnen in Kontakt zu kommen und, falls nötig, ihre Hilfe anzubieten. Eine Anfrage der Caritas, einer Flüchtlingsfamilie beizustehen, ließ die Hilfe gleich konkret werden. Doch dann waren sie auf einmal in ganz anderem Ausmaß gefordert. Es kamen immer mehr Flüchtlinge, und die Gemeinde mit 11 600 Einwohnern nördlich von Freiburg musste klären, wo sie Platz für 40 bis 60 weitere schaffen könnte. Das war begleitet von kontroversen Diskussionen, Bürgerversammlungen und führte schließlich zur Gründung eines Runden Tisches, aus dem heraus sich spontan eine Gruppe von Mitstreiter(innen) für die Privatinitiative der fünf Frauen fand. So wurde im Oktober 2014 der Flüchtlingshelferkreis Gundelfingen geboren.
MigMag: In welcher Weise helfen Sie den Flüchtlingen?
Strauß-Platzer: Wir haben die Arbeit in mehrere Arbeitsgruppen aufgeteilt: Die Gruppe "Willkommen" etwa begrüßt, wie der Name schon sagt, die Neuankömmlinge, stattet sie mit Kleidung aus, vermittelt Kontakte und gibt Orientierungshilfen. Eine Gruppe, die sich "Offene Tür" nennt, steht für spontane Fragen zur Verfügung. Um Sprachbarrieren abzubauen, finden regelmäßig Deutsch- und Alphabetisierungskurse statt. Die Gruppe "Wohnen" kümmert sich darum, dass die Unterkünfte passend ausgestattet sind, die Gruppe "Arbeit" stellt Kontakte zu lokalen Arbeitgebern her und vermittelt Arbeitsplätze. Auch der kulturelle Austausch ist wichtig sowie der Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Dies übernimmt die Arbeitsgruppe "Kultur". Mittlerweile sind viele persönliche Kontakte zu den Flüchtlingen entstanden, unter anderem auch als enge "Tandems". Das schafft Vertrauen. Wenn etwas unklar ist, haben sie immer jemanden, den sie direkt ansprechen können.
Migmag: Wie finden Flüchtlinge den Weg zu Ihnen?
Strauß-Platzer: Wir erfahren von der Zuweisung der Flüchtlinge durch die Gemeinde. Unser Begrüßungsteam empfängt - zusammen mit einer Person aus der Verwaltung - Menschen, die neu zugewiesen wurden, und bringt sie zu ihrer Unterkunft. Am nächsten Tag werden sie zu einem Begrüßungskaffee eingeladen, wo sie schon einiges erfahren können: über den Ort, über das Angebot von Sprachkursen oder andere Aktivitäten. Wir unterstützen sie bei ihren ersten Schritten in Gundelfingen, gehen zum Beispiel mit zu Behörden. Unser Ziel ist es, die Flüchtlinge auf eigene Beine zu stellen. Das heißt, wir wollen dazu beitragen, dass diejenigen, die hierbleiben können, langfristig selbstständig und unabhängig hier leben.
MigMag: Wie viele Gundelfinger engagieren sich denn bei Ihnen im Flüchtlingshelferkreis? Und wer sind sie?
Strauß-Platzer: Zurzeit sind wir etwa 40 aktive Mitstreiterinnen und Mitstreiter und viele, viele, die uns unterstützen. Das Schöne ist, dass sich Menschen aller Bevölkerungsschichten, unterschiedlichen Alters und Bildungsgrades, mit unterschiedlichen politischen und religiösen Überzeugungen engagieren. Gundelfingen war schon immer ein Ort mit großem gesellschaftlichem Engagement.
MigMag: Flüchtlinge als Nachbarn - das ruft oft viele Ängste hervor. Fühlt sich der Flüchtlingshelferkreis auch da gefordert, vermittelnd einzugreifen?
Strauß-Platzer: Natürlich ist es uns wichtig, zu einem guten Klima in Gundelfingen beizutragen und Ängste in der Bevölkerung abzubauen. Der Helferkreis hat sich mittlerweile gut etabliert und erfährt große Zustimmung. Es kommen Spenden, interessierte Anfragen und Angebote zur Mithilfe.
Das Fest der Kulturen, den der Flüchtlingshelferkreis im Juli dieses Jahres im Zentrum von Gundelfingen veranstaltet hat, hatte großen Zulauf. Natürlich können wir nicht alle Probleme lösen. Wenn es konkrete Konflikte mit Flüchtlingen in der Nachbarschaft gibt, treten wir als Vermittler auf. Und bei der Gemeindeverwaltung haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Nachbarschaft vorher informiert wird, wenn Wohnungen neu mit Flüchtlingen belegt werden - was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war.
MigMag: Werden Flüchtlinge auch privat untergebracht?
Strauß-Platzer: Mittlerweile gibt es auch Privatpersonen, die Wohnraum an Flüchtlinge vermieten. Mit dieser Form der Unterbringung haben alle Beteiligten bisher sehr positive Erfahrungen gemacht (siehe Beitrag auf der Folgeseite).
MigMag: Auch Kirchen und Wohlfahrtsverbände engagieren sich für Flüchtlinge. Arbeiten Sie mit anderen Akteuren zusammen?
Strauß-Platzer: Wir pflegen gute Kontakte zur Caritas und zum Diakonischen Werk und bekommen von den großen Verbänden hilfreiche fachliche Unterstützung wie interkulturelle Trainings. Vor Ort suchen wir auch den Kontakt zu den Kirchengemeinden.
MigMag: Zurzeit leben mehr als 75 Flüchtlinge in Gundelfingen. In den kommenden Monaten sollen Unterkünfte für 240 weitere fertiggestellt werden. Was bedeutet dies für den Helferkreis?
Strauß-Platzer: Die Anforderungen werden steigen, aber wir haben kaum noch Kapazitäten. In den vergangenen sechs Monaten haben wir viel aufgebaut. Mit der Gemeinde arbeiten wir inzwischen sehr konstruktiv zusammen. Als Teil des Bürgertreffs können wir die hierfür zur Verfügung stehenden Räume nutzen. Wir werden unterstützt beim Aufbau eines Möbel- und Kleiderlagers für die Flüchtlinge. Was wir uns aber ganz dringend wünschen, ist die Stelle eines Sozialarbeiters, den die Gemeinde für die Arbeit mit Flüchtlingen zur Verfügung stellen sollte.
MigMag: Flucht und Asyl sind in den Medien momentan enorm präsent. Viele Menschen möchten sich für Flüchtlinge engagieren. Wie kann dieses Engagement langfristig aufrechterhalten werden?
Strauß-Platzer: Viele Menschen möchten sich für Flüchtlinge engagieren, über deren Schicksale sie derzeit gehäuft aus den Medien erfahren. Auch in Gundelfingen, das voller Talente steckt, die eingebracht werden wollen und können. Sie werden alle gebraucht, denn die Arbeit muss auf viele Schultern verteilt werden. Sie müssen aber voneinander wissen, und die Arbeit muss koordiniert werden, wenn sie effektiv sein soll. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind sehr gut darin, Kontakte zwischen Flüchtlingen und einheimischer Bevölkerung herzustellen und den Flüchtlingen als Mensch zu begegnen. Sie sind jedoch keine Sozialarbeiter. Die Gemeinden müssen den strukturellen Rahmen schaffen und sich mit den Helferkreisen gut vernetzen. Damit das gelingt, muss ein Sozialarbeiter in der Gemeindeverwaltung die Hilfen für Flüchtlinge koordinieren und als Ansprechpartner für alle Beteiligten zur Verfügung stehen. Freiwilliges Engagement braucht professionelle Entlastung, damit es sich nicht erschöpft.
MigMag: Sie selbst sind mit Begeisterung aktiv. Unter anderem unterrichten Sie als Lehrerin ehrenamtlich Flüchtlinge in Deutsch. Was ist Ihre Motivation?
Strauß-Platzer: Mich reizt das "Anpacken": Es geht darum, Brücken zu bauen zwischen Menschen verschiedener Kulturen, konkrete Hilfe anzubieten und den direkten Kontakt zwischen Gundelfinger Bürgern, der Verwaltung und den Flüchtlingen herzustellen. Die Flüchtlinge sind froh über Menschen, die auf sie zugehen und ihnen im Alltag begegnen. Die Bürger in Gundelfingen sind froh, wenn das Miteinander mit den neuen Bewohnern gelingt. Ich glaube, dass ich meine sozialen Kompetenzen hier gut einbringen kann. Das tut auch persönlich gut!
Kontakt: Flüchtlingshelferkreis Gundelfingen
Vörstetter Straße 3
79194 Gundelfingen
Tel. 0162/3995016
email: fhk@buergertreff-gundelfingen.de