Richtig sehen! Das Ein-Dollar-Brillen-Projekt
Wer gut sieht, kann seinen Alltag organisieren und Geld verdienen. Menschen, deren Sehkraft nicht ausreicht, gehen zum Optiker oder kaufen sich heute eine Brille für wenige Euro im Supermarkt.
150 Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt diese Möglichkeit. Wer hier schlecht sieht, verliert häufig seine Arbeit, kann die Schule nicht besuchen oder wichtige Geräte nicht bedienen. Der wirtschaftliche Verlust beläuft sich nach Schätzungen einer WHO-nahen Studie weltweit auf 120 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Die Idee einer günstigen Brille hätte also ein ungeheures Potenzial.
"Ich habe mich lange gefragt, warum sich damit keiner beschäftigt. Und dann habe ich mich selbst darangemacht", sagt der Mathematik- und Physiklehrer Martin Aufmuth aus Erlangen. In den vergangenen drei Jahren hat er mit Materialien experimentiert, Studien gelesen und in seiner Waschküche eine Vorrichtung entwickelt, mit der er Brillenfassungen ohne Strom professionell biegen kann.
Der Holzkasten in Würfelform misst 30 Zentimeter an jeder Seite. Martin Aufmuth steckt den Draht in eine Öse, biegt ihn an den vorgegebenen Stellen mit einem Hebel. Er kann die Brille für Erwachsene in zwei Breiten und für Kinder einstellen. "Die Einstellungen sind so einfach, dass auch blinde Menschen damit Brillengestelle herstellen können", sagt er und überzieht die beiden Enden mit einem Schrumpfschlauch. Jetzt klemmt er die Brillengläser ein. Fertig ist die Ein-Dollar-Brille.
Funktioniert weltweit
Die hochwertigen Gläser lässt Aufmuth inzwischen in China aus Kunststoff fertigen. Das ist praktikabler und günstiger, als sie vor Ort einzuschleifen. 25 Sehstärken von +6 bis -6 Dioptrien kann er behandeln. Die Gläser sind robust, das Gestell dank des Spezialdrahts sehr flexibel. "Unsere Brillen sollen aber auch gut aussehen, damit ihre Träger nicht ausgelacht werden", sagt Aufmuth. Deshalb fügen die Brillenmacher bunte Glaskugeln ein oder verpassen jeder Brille mit einem farbigen Nasensteg und Ohrenbügel eine persönliche Note.
Die Abläufe hat er inzwischen so optimiert, dass die Produktion einer einfachen Brille nicht länger als zehn Minuten dauert und das Material nicht mehr als einen Dollar kostet. Nun aber steht Martin Aufmuth vor einer anderen Herausforderung. Wie kommt die Brille zu den Menschen? "Daran sind schon viele Entwicklungsprojekte gescheitert", sagt er. Seine Antwort: ein soziales Unternehmen, das die Brille vertreibt, mit dem die Mitarbeiter Geld verdienen, wobei der Preis der Brille jedoch festgeschrieben ist. In Ruanda hat seine Organisation rund zwei Dutzend Frauen und Männer ausgebildet. Die ziehen von Dorf zu Dorf, testen die Sehstärke der Menschen und stellen die Brille vor Ort her.
Je nach Variante zahlen die Menschen zwischen zwei und fünf Dollar. "Welche Preisspanne in welchem Land Sinn macht, müssen wir noch festlegen. Unser Ziel liegt bei zwei bis drei Tageslöhnen", sagt Aufmuth. Inzwischen ist sein Projekt auch in Burkina Faso, Äthiopien, Bolivien, Benin, Malawi und Brasilien am Start, vor Kurzem wurde ein erfolgreiches Pilotprojekt in Mexiko durchgeführt.
Spender herzlich willkommen
Für seine Idee hat der Mann mit dem Pferdeschwanz inzwischen mehrere Preise erhalten. Erst jüngst wurde er mit dem renommierten Tech Award in San Jose, Kalifornien (USA) ausgezeichnet. Mit dem Erfolg aber wachsen die Anfragen von Medien und Organisationen. Die positive Wucht, die er mit seiner Idee erzeugt hat, schüttelt nun auch sein Leben durcheinander. "Ich könnte inzwischen zwei Sekretärinnen beschäftigen", sagt Martin Aufmuth mit einem Augenzwinkern. Seine Organisation wächst. "Wir benötigen dringend Trainer und natürlich auch Geldgeber, damit wir Länderteams mit den notwendigen Geräten und dem Erstmaterial ausstatten können", zählt der 40-Jährige auf.
Wer ihm zuhört, spürt: Da ist nicht nur ein Erfinder am Werk, sondern auch einer, der Ideen zu Strategien herunterbrechen kann und der sich in die Lebensbedingungen der Menschen hineinversetzt. Das sind gute Voraussetzungen, damit aus seiner guten Idee auch eine erfolgreiche werden kann.
Beste Aussichten
"Auf unserer Welt leben 150 Millionen behinderte Menschen, die nicht lernen, nicht arbeiten und nicht für sich und ihre Familie sorgen können - nur weil ihnen eine einfache Brille fehlt. Wir wollen das ändern." Das ist das Ziel von Eindollarbrille und Martin Aufmuth. Studenten der Freiwilligenorganisation Enactus e.V. haben im bitterarmen Burkina Faso gehbehinderten Einheimischen das Brillenbiegen und -anpassen beigebracht: So können sie anderen zum Sehen helfen und haben selbst Arbeit und Aufgabe. Lehrer, Optiker und Freiwillige sind besonders eingeladen, die gute Idee aus der Waschküche zu verbreiten: Eintägiger Crashkurs und los geht’s.
Infos: EinDollarBrille e.V., www.eindollarbrille.de