Kinderbetreuung ist Glückssache
"Wir haben Glück gehabt", sagen Verena (34) und Martin Sieland* (35). Mit Glück meinen sie, dass sie einen Kita-Platz für ihren anderthalb Jahre alten Sohn Jonas ergattert haben. Denn in Stuttgart übersteigt die Nachfrage das Angebot. Auf der Internetseite der Stadt wird gewarnt: "In der Altersgruppe der unter Zweijährigen gibt es derzeit leider nur wenige freie Plätze." Schon als Verena Sieland wusste, dass sie schwanger war, haben die werdenden Eltern angefangen, eine Kita zu suchen – "als Erstes, noch vor der Hebamme oder einem Geburtsvorbereitungskurs", sagt sie schmunzelnd.
Doch so lustig war die Suche nicht. In Stuttgart wie auch in vielen anderen Städten gibt es keine zentrale Stelle, die die Betreuungsplätze verteilt. "Das Resultat ist, dass etliche Kinder bei mehreren Kitas auf der Liste stehen. Keiner hat mehr den Überblick", kritisiert die junge Frau. Die Kita-Leitungen wissen, dass viele Anmeldungen "Karteileichen" sind. Deshalb müssen Eltern ständig auf der Matte stehen und "nerven", um tatsächlich einen Platz für ihr Kind zu kriegen. Nicht eine der zehn Kitas, bei denen Jonas angemeldet war, hatte die Eltern zurückgerufen.
Suche bleibt vielerorts eine Zitterpartie
Die Zeit lief.Verena Sieland wollte nach einem Jahr zu Hause wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. "Zum Glück hat dann ein privater Träger einen Betriebskindergarten eröffnet." Jonas wird nun halbtags sozusagen neben ihrem Schreibtisch betreut. "Er profitiert davon, mit anderen Kindern zusammen zu sein", ist sich die Mutter sicher. Der private Träger verlangt zwar mehr als ein städtischer oder kirchlicher. Der Preis für einen Ganztagsplatz liegt bei 300 Euro plus 100 Euro Mittagessensgeld im Monat, und das, obwohl der Arbeitgeber noch zuschießt. Doch das berufstätige Paar war froh um den Platz. Die pädagogische Richtung der Kita war erst mal zweitrangig. Den Eltern kam es vor allem darauf an, dass sie in der Nähe der Wohnung oder des Arbeitsplatzes liegt, dass Jonas dort gut betreut ist und sich wohlfühlt. Ausschlaggebend war auch, dass die Bring- und Abholzeiten flexibel sind.
Länder und Kommunen haben sich im vergangenen Jahr angesichts des Rechtsanspruchs auf eine Betreuung für unter Dreijährige (U3) angestrengt. Für das laufende Kita-Jahr 2013/2014 stehen 713000 U3-Betreuungsplätze bereit. Der tatsächliche Bedarf liegt aber laut einer Elternbefragung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) im Jahr 2012 bei 39 Prozent beziehungsweise 780000 Plätzen. Unterm Strich fehlen also noch 67000 Plätze.
Doch Eltern klagen nur vereinzelt ihr Recht ein. Dass eine Klagewelle ausbleibt, heißt aber nicht, dass alle zufrieden sind. Die Gründe sind laut dem Informationsdienst der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (Komdat) vom November 2013 vielfältig. Im Wesentlichen scheuten viele Eltern den mühevollen und teuren Klageweg. Stattdessen bleiben sie im Zweifelsfall selbst zu Hause - zumal das zum 1. August 2013 eingeführte Betreuungsgeld bei den Eltern wohl so manchen Bedarf an externer Kinderbetreuung schmälert.
Mehr Plätze auch bei der Caritas
Auch die Caritas hat die Kinderbetreuung ausgebaut. "Die katholischen Träger haben viel Geld in die Hand genommen und neue Einrichtungen beziehungsweise neue Gruppen geschaffen", sagt Johanna Meißner vom Verband Katholischer Kindertageseinrichtungen (KTK). Doch Kinderbetreuung ist kein Rechenexempel: Es kommt nicht nur darauf an, wie viele Kitas aus dem Boden schießen, sondern auch, wo sie entstehen und wie sie ausgestaltet sind. Prosperierende Regionen stärkten den Kita-Ausbau, strukturschwache Gegenden hätten hier ein Defizit, resümiert der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach. Die Verlierer seien Eltern in schwierigen Lebenslagen, die noch dazu in sozial schwachen Regionen lebten. Aber auch in strukturstarken Ballungsräumen nützt einer Familie ein Kita-Platz am anderen Ende der Stadt wenig. Entspannt ist die Situation für die Eltern der künftigen Junikäfer also noch lange nicht.
Qualität zählt
"Kindertageseinrichtungen mit der notwendigen Qualität bieten Kindern Bildungschancen und die Möglichkeit, sich mit anderen Kindern auszutauschen und sich selbst zu erfahren", sagt Johanna Meißner vom KTK. Natürlich müssten für die Betreuung kleiner Kinder die Rahmenbedingungen stimmen wie der Fachkraft-Kind-Schlüssel, die räumliche Ausstattung, eine angemessene Eingewöhnungszeit und eine beziehungsvolle Pflege. Deutschen Kitas und der Kindertagespflege wird aber nur ein mittelmäßiges pädagogisches Niveau bescheinigt, so das Ergebnis der Nubbek-Studie von 2012 (Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit). Dass derzeit händeringend nach Erzieherinnen und Erziehern gesucht und nun beispielsweise für Physiotherapeuten eine Art Erzieher-Ausbildung "light" angeboten wird, hebt die Qualität nicht unbedingt. Meißner sieht multiprofessionelle Teams aber nicht nur negativ: "Sie können ein Gewinn für die Einrichtung sein. Unerlässlich ist aber eine pädagogische Grundqualifizierung: Nicht umsonst durchlaufen Erzieher eine Ausbildung von bis zu fünf Jahren."
Tagesmutter als Alternative
Nicole und Alex Wehofer haben sich entschieden, ihre beiden Töchter erst ab einem Alter von zwei Jahren in eine Betreuung zu geben. "Da sind sie schon sicherer", meint Nicole Wehofer, die als Krankenschwester in Teilzeit arbeitet. Weil die Anwesenheitszeiten so flexibel sind und wegen der persönlicheren Ansprache wählten die Eltern zur Betreuung ihrer Tochter Luca (2) eine Tagesmutter. "Sie hat sich dort sofort wohlgefühlt", sagt die 34-jährige Mutter. Anregungen gibt es genug, findet sie: Die Kleinen kneten, malen, basteln, sind draußen. Freispiel und Singkreis gehören ebenso dazu wie das Mittagessen und der Mittagsschlaf. Die Tagesmutter hat eine eigene Wohnung angemietet. Die Eltern zahlen für zwei Vormittage 290 Euro im Monat. Sie werden vom Jugendamt unterstützt.
* Namen geändert