Wenn das Geld nicht für die Gesundheit reicht
Maria Caetano arbeitet bei der Sozialen Fachberatung des Fachdienstes für Migration und Integration der Caritas im Dortmunder Norden, dem Problembezirk der Ruhrgebietsstadt. Sie kennt das Problem persönlich, denn die, die es betrifft, kommen zu ihr. Und ihre Beobachtungen machen teils überraschende Probleme fassbar, die die Politik ignoriert.
"Zunächst einmal sind fast alle Menschen krankenversichert", erklärt sie. Wer aus dem System herausfällt, sind oftmals Wohnungslose und leider in zunehmenden Maße auch EU-Armutsmigranten. Dies ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist eher die Tatsache, dass das Gros derer, die zu ihr kommen und von Problemen in der Gesundheitsversorgung berichten, Menschen sind - die arbeiten! "Wer Hartz IV bezieht, wer wirklich ganz am Rande der Gesellschaft steht, ist, so paradox das klingen mag, meist erst einmal abgesichert. Zumindest wenn es um die gesundheitliche Grundsicherung geht." Das große unsichtbare Problem sind die prekären Arbeitsverhältnisse am unteren Lohnrand.
"Ein klassischer Fall ist die alleinerziehende Mutter, die einer geregelten Arbeit nachgeht, die aber schlecht bezahlt wird. Sie zahlt Miete, sie zahlt Strom und Wasser und hat kein Geld mehr für die notwendige Brille ihres Kindes. Oder ein Mann, verheiratet, arbeitet im Niedriglohnsektor, wird chronisch krank und am Ende fehlt es am Geld für die notwendigen Medikamente."
Natürlich gibt es die Möglichkeit, einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen, sagt Maria Caetano, jedoch mahlen die Mühlen der Behörden langsam. Ein Beispiel: "Gerade im Dortmunder Norden haben wir viele Migranten. Diese kamen oft als Erwachsene nach Deutschland, haben dann hier viele Jahre gearbeitet und Steuern gezahlt. Aber ihre Renten sind klein. Nun wird einer krank und plötzlich reicht das Geld nicht mehr. Jetzt müssen Kontoauszüge vorgelegt werden, es wird geprüft, wo ging eigentlich das verdiente Geld hin? Müssten da nicht Rücklagen vorliegen?" Irgendwann kommt die Prüfung zu dem Schluss: Der Betroffene hat das Anrecht auf Hilfe. Bis dahin aber vergehen Monate. "Oft fehlt einfach das Verständnis für die Eile, Gesundheit aber kann nicht warten."
Maria Caetano ärgert sich besonders, wenn sie an all die Anträge denkt, die sie bereits für Menschen gestellt hat, die einer festen, aber schlecht bezahlten Arbeit nachgehen und die dann förmlich um medizinische Hilfeleistungen betteln müssen, weil sie die geforderten Zuzahlungen nicht leisten können. "Solche Fälle gab es vor zwölf, dreizehn Jahren nur ganz selten, heute ist es für mich fast schon eine Routine-Arbeit."
Gesetzgebung und Realität klaffen im Gesundheitswesen auseinander. An sich gibt es eine finanzielle Belastungsgrenze für Zuzahlungen: Sie liegt bei zwei Prozent des Bruttoeinkommens, für chronisch Kranke bei einem Prozent. Was in nackten Prozentzahlen fair und überschaubar klingt, ist für manche Menschen in der Realität nicht mehr finanzierbar. In der gleichen Straße wie die Caritas befindet sich auch die Dortmunder Tafel. Dort gehen Menschen hin, weiß Maria Caetano, die ihr Leben lang gearbeitet haben, deren Renten aber nicht mehr zum Leben reichen.
Persönlich weh tun der Beraterin Fälle, in denen sie die Menschen quasi zwingen muss, ehrlich zu sein - zu ihrem eigenen Vorteil. "Vielen Betroffenen ist es einfach peinlich, Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Sie denken sich - ein Prozent meines Bruttoeinkommens? Das muss ich doch schaffen. Also verzichten sie auf Hilfen, die ihnen aufgrund ihrer kleinen Einkommen oder Renten zustehen. Wenn sie dann zur Beratung kommen, ist die Gesundheit oft schon in einem Maße angegriffen, dass aus einer anfänglich vielleicht heilbaren eine chronische Erkrankung geworden ist."