Ein Missionar der Jugendhilfe
Als Leiter des Hauses Widey in Salzkotten ist er schon am Morgen offiiziell verabschiedet worden. Seit 1981, mehr als 30 Jahre, hat Georg Neuhaus die Einrichtung der Jugend- und Sozialhilfe des Sozialdienstes katholischer Frauen geleitet. Mädchen, Frauen und deren Kinder waren seine Klientel. Am Morgen hat ihm der Landrat gedankt. Als "Missionar der Jugendhilfe" hat er ihn bezeichnet, als "Anwalt der benachteiligten und schwachen Frauen und Mütter". Dieser Einsatz hat ihn müde gemacht. Er freut sich auf seinen Ruhestand.
Um ein Vielfaches ist die Arbeit gewachsen, seit Georg Neuhaus im Auftrag des SkF die Leitung 1981 von den Hiltruper Missionsschwestern übernahm. Ein Hilfeangebot für Frauen in Not wurde installiert, die pädagogischen stationären Hilfen für Mutter und Kind neu begründet und stark ausgebaut, eine eigene Schule mit den Klassen 5 bis 10 etabliert, einige Jahre später eine eigene Berufsschule, die auch externe Schüler besuchen. 2003 wurde das Schulgebäude baulich erheblich erweitert. 88 Plätze bietet das stationäre Angebot heute.
"1981 ist nicht kurz nach dem Krieg", sieht Georg Neuhaus die Veränderungen im Rückblick aber wenig dramatisch. "Damals waren es Doppelzimmer, heute sind es Einzelzimmer." Und: "Die Not war früher da, und die Not ist heute da. Wir versuchen jeweils, zeitgemäß darauf zu antworten." Im Gegensatz zu früher werde aber individueller auf Nöte eingegangen. "Jeder bekommt ein anderes Hilfsangebot." Während der langen Dienstzeit von Georg Neuhaus wurde die Arbeit im Bereich der Jugendhilfe auch um die Arbeit mit seelisch behinderten jungen Frauen erweitert. Menschen mit und ohne Behinderung leben nunmehr seit 20 Jahren in Haus Widey zusammen, erklärt Georg Neuhaus. "Heute wird das Inklusion genannt. Das war uns nie fremd."
Aktuell auf Nöte reagieren, helfen, wo sich sonst keiner zuständig fühlt - das war Georg Neuhaus immer ein Anliegen. "Es gibt Leute, da weiß keiner, wohin mit ihnen - die landen dann bei uns im Haus Widey." Anfragen erhält das Haus aus ganz Deutschland. Geholfen werde könne aber nicht im Zwei-Monats-Rhythmus. "Bei uns wird langfristig geholfen - über Jahre." So erklärt sich auch das breite Angebot im Haus Widey: Wohnen, Pflege, Therapien, Schule, Ausbildung. Auch die Inobhutnahme für den Kreis Paderborn übernimmt das Haus. "Wenn die Polizei hilflose Minderjährige aufgreift und nicht bei ihren Eltern abliefern kann, kommen sie zu uns."
Nach mehr als 30 Jahren sieht Georg Neuhaus die Beanspruchung durch die Arbeit zwiespältig. Die Arbeit umfasse alle Bereiche des Lebens, von der Geburt bis zum Tod, schöne und schlimme Erlebnisse. "Man lernt hier, den Erfolg zu relativieren", sagt er nachdenklich und erzählt von einem Mädchen, das einen erfolgreichen Schulabschluss machte. "Die Lehrer haben sich gefreut, aber man merkte, sie ist trotzdem noch seelisch beeinträchtigt." Einige Jahre nach ihrer Entlassung erfuhr Georg Neuhaus, dass sie von einer Brücke gesprungen war. "Das hat mich mitgenommen." Für die Mitarbeiter sei es deshalb wichtig, Fortbildungen und Supervisionen in Anspruch zu nehmen. Denn: "Die Arbeit hier beeindruckt schon gewaltig. Sonst läuft man als Mitarbeiter Gefahr, dass man verrückt wird."
Stationäre Einrichtungen in der Jugendhilfe wie das Haus Widey werde es auch weiterhin geben, wagt Georg Neuhaus einen Blick in die Zukunft. Und das, obwohl politisch versucht werde, stationäre Hilfen abzuschaffen - offenbar aus Kostengründen. "Ich erwarte, dass das nicht klappt." Den Bereich Heimerziehung und stationäre Hilfen "wird es immer geben müssen", ist er überzeugt. Schwierigkeiten sieht er allerdings zukünftig bei der Gewinnung von geeigneten Mitarbeitern. Das breite Angebot in den Berufsbildern der Pädagogik locke Fachkräfte dorthin, wo es keinen Schichtdienst gebe, hat Georg Neuhaus beobachtet. "Da könnte Kirche stärker für eigene Bedürfnisse, für caritative Spezialeinrichtungen ausbilden und werben", wünscht er sich zum Abschied und macht sich nach einer letzten Abschiedsrunde bei den Mitarbeitern auf den Weg in den Ruhestand.