Weil jeder wertvoll ist
"Sie ist die Perle der Gemeinde", sagte Pastor Norbert Johannes Walter zum 25-jährigen Bestehen der "Teestube". Mit einem Senfkorn, dessen Saat auf vielfältige Weise aufgegangen ist, verglich sie der Gemeindereferent Josef Becker auf der Feier zum 35-jährigen Bestehen.
"Weil jeder wertvoll ist", sagt Waltraud Becker. 1983 hatte sie die Vision, einen Ort der Begegnung für Menschen mit Behinderung zu schaffen und stieß bei der Kirchengemeinde St. Joseph und der örtlichen Caritas in Herne auf offene Ohren. "Ich war immer dankbar dafür, dass in meiner Familie alle gesund sind. Ich wollte mich revanchieren", erklärt Waltraud Becker ihre Motivation, ein solches Projekt ins Leben zu rufen. "Damals war ich 26 Jahre alt und hatte zwei kleine Kinder, als es mit der Teestube losging", erinnert sie sich. "Sie ist mein drittes Kind."
Neun Gäste kamen zum ersten Treffen. Heute besuchen durchschnittlich 80 Personen aus ganz Herne alle 14 Tage dienstagabends die Teestube im Gemeindezentrum St. Joseph in der Roonstraße. Das Veranstaltungsprogramm für das Jahr, das Waltraud Becker mit ihrem rund 30-köpfigen Team aus Caritasmitgliedern und weiteren Ehrenamtlichen aus der Gemeinde zusammenstellt, ist vielfältig. Bunte Abende und ein Karnevalsfest haben einen festen Platz im Terminkalender der Teestube. Außerdem wird gegrillt, gebastelt und im "Disco-Fieber" geschwoft. Besuche von der Feuerwehr oder verschiedenen Künstlern stehen ebenfalls auf dem Programm. Mit Spannung erwarten die Gäste jedes Jahr den Nikolaus.
Viele Gäste wohnen entweder noch zu Hause oder in den Herner Wohnheimen für Menschen mit Behinderung. Für sie ist die Teestube eine Abwechslung von ihrem Alltag. Sie pflegen Freundschaften und tauschen sich aus oder sind einfach nur mittendrin. Die Begrüßung zu Beginn eines jeden Treffens ist herzlich und Umarmungen gehören dazu. Auch Waltraud Becker und ihr Team werden da schon mal "geknuddelt".
Jede Teestube beginnt mit dem eigenen Begrüßungslied. Anschließend wird bei Tee und Plätzchen in gemütlicher Atmosphäre geplaudert. Danach folgt ein kleines Unterhaltungsprogramm mit gemeinsamem Gesang und Musizieren auf Orffschen Instrumenten. "Es ist die Lebensfreude und die Ehrlichkeit, die ich an den Menschen so liebe. Die Menschen bringen ihre Fröhlichkeit, ihre Offenheit und Herzlichkeit ein. Das wirkt ansteckend", sagt Waltraud Becker. "Und wir erfahren viel Akzeptanz und Unterstützung aus der Gemeinde. Wir gehören dazu - beim Gottesdienst, auf dem Pfarrfest und bei der Kinderweihnacht."
Wenn sie von der Teestube erzählt, strahlen ihre Augen, und es wird spürbar, wie sehr ihr "ihr drittes Kind" am Herzen liegt. "Wir begegnen uns mit Respekt und Anerkennung und sind im Laufe der Jahre zu einer richtigen Familie zusammengewachsen. Es gibt keine Distanz oder Ablehnung. Das ist einfach toll."
Aber auch über Herne hinaus ist die Teestube bekannt geworden. In besonders schöner Erinnerung ist Waltraud Becker die Nominierung für den Pauline-von Mallinckrodt-Preis zum Thema: "Kein Mensch ist perfekt - Behinderte Menschen: Menschen wie du und ich" im Jahr 2011 geblieben. Die Auszeichnung der Caritas-Stiftung für das Erzbistum Paderborn sei damals zwar zu gleichen Teilen an Initiativen in Brilon und Paderborn gegangen, "aber auch einfach dabei zu sein, das war schon sehr schön", blickt sie noch immer ein wenig bewegt zurück. Sie selbst hat bereits die Elisabethmedaille der Caritas, die Ehrennadel der Lebenshilfe und in diesem Jahr den "Ehrwin des Monats Januar 2018" des WDR verliehen bekommen.