Familien in Wohnungsnot
Das bekommen die beiden Caritas-Sozialarbeiterinnen der Zentralen Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot, Katharina Schelenz und Esther Deck-Münzner in ihrer täglichen Arbeit hautnah mit. Doppelt so häufig wie vor zehn Jahren sitzen verzweifelte Mütter und Väter in ihrer Sprechstunde, weil ihnen eine Zwangsräumung droht oder sie bereits ihre Wohnung verloren haben. Laut ihrer Statistik waren es im vergangenen Jahr sechs Prozent der Ratsuchenden in der Moabiter Levetzowstraße, die ein oder mehrere Kinder hatten. Die beiden Frauen gehen von einer deutlich höhren Dunkelziffer aus. "Oft erfahre ich erst im Nachgang, zum Beispiel durch einen Anruf vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo), dass in einem Fall, den ich beraten habe, auch Kinder betroffen sind", erzählt Esther Deck-Münzner.
Ihre Kollegin Katharina Schelenz erklärt: "Die Angst vor dem Jugendamt ist groß, auch wenn Wohnungslosigkeit an sich kein Kinderschutzfall ist, also kein Grund darstellt, das Kind getrennt unterzubringen." Dennoch spüre sie diese Sorge bei jeder Familie, die sie berät. Oft sind es alleinerziehende Mütter, die ihre Kinder bei Verwandten unterbringen und selbst auch irgendwo im Freundeskreis Unterschlupf finden. "Die zerreißen sich selbst, bevor ein Amt überhaupt etwas tun kann", formuliert es Katharina Schelenz trocken.
Neben Trennung führen vor allem finanzielle Gründe dazu, dass Familien von Wohnungsnot bedroht sind oder bereits ihre Bleibe verloren haben. "Kinder kosten nun mal eine Menge Geld", gibt Esther Deck-Münzner zu Bedenken, "da wird es mit Arbeitslosengeld II schnell knapp." Aber auch Berufstätige könnten heute schnell in Not geraten. "Die Mieten steigen, aber die Löhne nicht." Die Sozialarbeiterin erzählt von einem Vater, der selbständig auf dem Bau arbeitet. "Da wurden die Aufträge unregelmäßig oder gar nicht bezahlt, so dass er trotz harter Arbeit die Miete nicht mehr aufbringen konnte." Kein Einzelfall, sagt Esther Deck-Münzner, die häufiger Selbständige in der Sprechstunde zu sitzen hat.
Ihr Spielraum zu helfen, ist nicht besonders groß. "Wenn es die Zeit zulässt, raten wir, schnell einen Wohnberechtigungsschein mit Dringlichkeit zu beantragen, doch sozialen Wohnraum gibt es viel zu wenig." Auch ihre Kollegin Katharina Schelenz räumt ein: "Das ist kein wirksames Instrument mehr." Seit zehn Jahren arbeitet die Sozialarbeiterin in der Moabiter Beratungsstelle und spricht von Frust, den sie und ihre Kolleginnen spüren, wenn sie selbst kaum noch helfen können.
Eine Wohnung zu vermitteln, ist mittlerweile auch für die Fachfrauen nahezu aussichtslos. Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kinder, sie möglichst nicht aus dem sozialen Umfeld wie Schule und Freundeskreis zu reißen, könne dabei kaum mehr genommen werden. Wenn überhaupt, lasse sich nur noch was außerhalb des Stadtrandes finden, ist die Erfahrung von Katharina Schelenz. "Große Wohnungen gibt es in der Stadt einfach nicht mehr." Hinzu komme das Dilemma, dass rechtlich eine gewisse Zimmeranzahl entsprechend der Familienmitglieder vorgeschrieben ist. "Selbst wenn die vierköpfige Familie bereit ist, in eine Dreizimmerwohnung zu ziehen und das Jobcenter es auch abgesegnet hat, weigert sich dann die Wohnungsbaugesellschaft", erzählt Katharina Schelenz von den typischen Hürden. "Also sitzt die Familie weiter mit den Kindern in der womöglich verschimmelten Zweizimmerwohnung eines Bekannten", sagt Schelenz und schüttelt den Kopf. Diese beengten und gesundheitsgefährdenden Wohnverhältnisse mitzubekommen, berühren die erfahrene Sozialarbeiterin.
Richtig ärgerlich wird sie, wenn Eltern aus anderen Regionen des Landes alles stehen und liegen lassen, dort ihre Wohnung kündigen und "völlig blau-äugig ins hippe Berlin kommen". Da versteht sich Katharina Schelenz als "Anwalt des Kindes" und versucht den Eltern ins Gewissen zu reden, was sie ihrem Nachwuchs damit antun, wenn sie hier in die Wohnungslosigkeit rutschen. "Die versuche ich davon zu überzeugen, ob es nicht besser wäre, wieder zurück zu gehen."
Diese Option kommt für die Familien, die aus dem ost-europäischen Ausland hergekommen sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben, nicht in Frage. Und gerade diese Familien sind es, die in großer Zahl bei den Sozialarbeiterinnen in Moabit Hilfe suchen.
Doch ob Notunterkunft, Wohnheim, betreutes Wohnen oder bezahlbare große Wohnungen: Fakt ist, dass es in der Stadt kaum familiengerechte Hilfsangebote für Wohnungslose gibt. "Es tut sich zum Glück was", sagt Katharina Schelenz. Aber das helfe akut wenig. Strukturell sei einiges in Arbeit, zum Beispiel dass es einfacher werde, mehrere Hilfen in Anspruch zu nehmen. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Jugendamt und sozialen Hilfen stellen derzeit alle Akteure vor große Herausforderungen. Das müsse einfacher werden. "Und es braucht langfristige Hilfen", ist Katharina Schelenz überzeugt.
Für das Jahr 2018 hat der Senat die Mittel für Wohnungslose von 4,2 auf 8,1 Millionen Euro erhöht. Unter anderem soll das Geld in Notunterkünfte für Frauen und Familien fließen. Ein wichtiger Anfang und dennoch nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, findet die Sozialarbeiterin.
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