Sucht als Hilfeschrei
Party machen gehört zum Jung sein dazu. Das ist in der Stadt nicht anders als auf dem Land. Karneval, Schützenfeste, Kirmes, Heimatfeste, aber auch Ostern, 1. Mai, Pfingsten und Weihnachten gelten als große Feiertage, an denen Jugendliche Alkohol oder auch andere, noch stärkere Drogen konsumieren. Doch manchmal geht es zu weit: Gerade noch lustig auf der Party - und plötzlich mit Filmriss im Krankenhaus.
Kein Einzelfall im Kreis Höxter, denn jedes Jahr landen bis zu 40 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 11 und 18 Jahren mit einer Alkoholvergiftung in der Klinik. Wenn die jungen Patienten wieder wach und ansprechbar sind, ist Zeit für erste Kontakte und Gespräche.
Das Team der Kinder- und Jugendmedizin des St.-Ansgar-Krankenhauses Höxter und auch die Experten der Beratungsstelle Eltern, Kinder und Jugendliche des Caritas-Beratungszentrum in Brakel stehen den Jugendlichen direkt auf der Station zur Seite, um ihnen die Chance zu geben, ihr Verhalten zu reflektieren und offene Fragen zu klären. Denn die Caritas-Beratungsstelle ist vernetzt in dem Projekt "Giga" - Gemeinsam initiativ gegen Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen.
Zu diesem Modellprojekt, das seit 2011 im Kreis Höxter existiert, gehören auch Jugendämter, Polizei und Ordnungsbehörden sowie der Kreissportbund. Ziel ist es, kommunale Kräfte zu bündeln, um mit Aktionen präventiv gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch vorzugehen.
"Beim ersten Beratungskontakt nach einem Vorfall wie einer Alkoholvergiftung geht es nicht darum, sofort von Sucht zu sprechen, sondern herauszufinden, was passiert ist und wie der Umgang mit Alkohol im Alltag überhaupt aussieht", macht die Psychologin Naznine Soundarjee, Leiterin der Beratungsstelle, deutlich. Oft sei der übermäßige Alkoholkonsum ein Ausdruck für Probleme in der Familie. "Die Gründe sind vielfältig und können ein Hilfeschrei sein", sagt Andrea Sickes, Suchtprophylaxe-Fachkraft des Caritasverbandes für den Kreis Höxter.
Gemeinsam mit den Betroffenen wird Ursachenforschung betrieben - freiwillig, mit Hilfe von Infokarten und ohne erhobenen Zeigefinger. Wenn gewünscht, läuft das Beratungsgespräch bei Minderjährigen auch ohne Eltern. "Besser ist immer mit", sagt Naznine Soundarjee und ergänzt: "Um einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zu erlernen, ist die gesamte Familie gefragt." Dabei sei es wichtig herauszufinden, wie die Eltern mit Alkohol umgehen, ob das Thema bagatellisiert wird und ob dem Jugendlichen Grenzen gesetzt werden. Außerdem können Eltern wertvolle Tipps erhalten, Regeln und Konsequenzen zu vereinbaren. Wenn nötig, folgen weitere Beratungen. "Wichtig ist, die Kinder und Jugendlichen selbstbewusster zu machen, ihnen Erfolgserlebnisse zu vermitteln, damit der Gruppenzwang beim Alkohol nicht mehr greift", weiß Angela Sickes. Sie setzt sich kreisweit in Kindergärten, Schulen, Jugendhilfe, Betrieben und Vereinen dafür ein, Mitarbeiter fit zu machen für "Move - motivierende Kurzintervention bei konsumierenden Jugendlichen". Das heißt, Fachkräfte werden darin geschult, effektiv zu reagieren, wenn ihre Schützlinge durch Konsum von Alkohol und illegalen Drogen auffallen.