Gefangen im Suchtdreieck
Hier in der Caritas-Beratungsstelle beschäftigt man sich nämlich schon seit 1987 mit dieser Krankheit. Fast 500.000 Deutsche sind laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung glücksspielsüchtig.
Kaiserslautern um kurz nach Mitternacht am Ostersonntag. Meine Freundinnen und mich hat nach einem Besuch in der Bar die Lust nach einem Mitternachtssnack gepackt. Wir sitzen am Tisch, genießen unser Essen und lassen den Abend ausklingen. Plötzlich fangen ein paar ältere Herren an zu jubeln: "Mensch, mein Freund! Das ist ja der Wahnsinn! Wie hast du das bloß schon wieder geschafft?" Unsere Blicke fallen auf einen Mann mit Brille, welcher neben uns sitzt und gerade den Hauptgewinn am Spielautomaten gemacht hat. Das Geld wird ausgezahlt, er selbst starrt nur vor sich hin. Statt sich zu freuen, legt er uns fünfzig Euro auf den Tisch: "Macht Euch einen schönen Abend, Mädels". Wir schütteln den Kopf und sind fassungslos. "Das ist doch dein Gewinn. Freust du dich denn gar nicht?", entgegnet ihm meine Freundin. "Mir ist das ganz egal, wie viel hier gerade rauskommt. Da ich mich sowieso nicht darüber freuen kann, ist das Geld bei anderen besser aufgehoben. Ich gebe es im nächsten Kasino ja eh wieder aus."
Bis heute macht mich dieser Abend fassungslos. Was muss im Kopf dieses Menschen nur vorgehen? Aus dem weiteren Gespräch kann ich aber schnell ein Fazit ziehen: Dieser Mann ist glücksspielsüchtig. Ein Thema, das viele Fragen in mir aufkommen lässt. Ich treffe Gordon Schmid, der seit 2012 im "Café Beispiellos" in Berlin arbeitet und sich tagtäglich damit beschäftigt, Glücksspielsüchtigen zurück in ein spielfreies Leben zu helfen. Begonnen hat es damals als etwas "ganz Niedrigschwelliges", ein Café für Spieler im wörtlichen Sinn. Heute ist es zu einer reinen Beratungsstelle geworden, die zwei Schwerpunkte behandelt: Automatenkasinos und Computerspiele, wobei sich diese Bereiche auch oft überschneiden. Im Laufe der Zeit ist die Nachfrage nach Beratung immer mehr gestiegen. Auch die Teilnahme an Sportwetten oder Onlinespielen habe enorm zugenommen. Das Beratungsprogramm und die eigenen Selbsthilfegruppen haben sich intensiv weiterentwickelt.
Gordon Schmid kann klar sagen, dass die meisten freiwillig zur Beratung kommen und selbst von "Sucht" sprechen. Allerdings erst nach durchschnittlich fünf bis sieben Jahren süchtiger Spielkarriere. Oft haben die Betroffenen schon Kontakt zu Angehörigen oder Freunden verloren. Einige erscheinen, laut Schmid auch, wenn es ihnen droht, die Miete nicht mehr zahlen zu können oder Beziehungen in die Brüche gehen. "Es braucht also immer einen Grund, bis sie darauf kommen, dass es Probleme gibt, die mit der Glücksspielsucht zusammenhängen. Der Druck muss gegeben sein", so ist Schmid überzeugt.
Wenn die Erkrankten dann aber erst mal da sind, sei es nicht schwer, offen mit dem Suchtbegriff umzugehen. Schmid berichtet, dass die Beratungsstelle vor einigen Jahren noch in der Öffentlichkeit belächelt wurde. "Caritas Berlin erfindet neue Glücksspielsucht", soll in der Presse behauptet worden sein. Seit 2001 allerdings ist die Erkrankung eine anerkannte Suchterkrankung. Doch welche Ursachen führen eigentlich zur Erkrankung? Der erste Wunsch sei es immer, so schnell wie möglich spielfrei zu werden. Dies gelinge oft sehr schnell, aber kämen Themen auf, die jahrelang "weggespielt" wurden.
"Das ist wie bei einem Alkoholiker, wenn er seine Probleme wegtrinkt. Wenn dann das Suchtmittel fehlt, kommen diese wieder zum Vorschein", erklärt Schmid. Von traumatischen Erlebnissen aus der Kindheit, über unglückliche Beziehungen bis zu geringem Selbstbewusstsein variieren die Problematiken. Man spreche wie bei anderen Suchterkrankungen auch, von einem sogenannten Suchtdreieck. Persönliche Einstellungen, Einflüsse aus der Umwelt und das Suchtmittel selbst fließen aufeinander ein und machen die Betroffenen "gefangen". Oft stehe die Sucht auch mit einer Depression in Verbindung. Hier sei man sich aber nie sicher, was zuerst da war. Somit empfiehlt das "Café Beispiellos" häufig noch weitere therapeutische Maßnahmen, um den Ursachen auf die Schliche zu kommen und in Zukunft bei ähnlichen Situationen anders zu handeln, statt zum Spielen zurückzukehren. Auch die Angehörigen erhalten von Gordon Schmid und seinem Team Unterstützung darin, selbst eine Stütze zu sein.
Nach dem Gespräch haben sich einige meiner offenen Fragen geklärt. Die brennendste liegt mir allerdings noch auf dem Herzen: "Kann man sagen, dass die Betroffenen die Chance haben, eine Glücksspielsucht komplett zu besiegen oder gibt es oft Rückfälle?" Ich erfahre, dass es meist gelingt, dass Betroffene "trocken" - so sagt man auch in diesem Bereich - werden. "Wir haben Kontakt zu Ex-Besuchern, die sich nach zehn Jahren stolz melden und sich bedanken, dass sie durch uns noch immer glücksspielfrei sind. Aber es gibt auch einige die immer wieder zurückkehren", erzählt Schmid. Behandlungsmöglichkeiten gäbe es mittlerweile gute, aber die eigene Entwicklung stehe und falle auch immer mit der Motivation.
KONTAKT
Café Beispiellos
Wartenburgstraße 8
10963 Berlin-Kreuzberg
Telefon: 030 / 666 33 955
cafe.beispiellos@caritas-berlin.de
www.cafe-beispiellos.de
Offene Sprechstunde:
dienstags 14:00 bis 17:00 Uhr
freitags 11:00 bis 14:00 Uhr