Mama geht ins Ausland
Sein Idol ist Messi vom FC Barcelona. Will er eines Tages auch so bekannt werden? "So gut kann nicht jeder sein." Der dunkelhaarige Junge ist bescheiden und trotz seines Alters bodenständig. Muss er auch sein. In Ełk werden nur wenige Träume wahr. Ełk ist eine Stadt mit 60.000 Einwohnern in Nordostpolen. Im so genannten "Polen B": schlechte Infrastruktur, Armut, hohe Arbeitslosigkeit. "Hier gibt es keine Zukunft", sagt Malgorzata, Kacpers Mutter. Die 35-jährige Frau ist in Eile. Sie muss in den nächsten Tagen viel machen. Und sie will soviel Zeit wie möglich mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann verbringen. Denn am nächsten Dienstag fährt sie los: nach Deutschland, zur Arbeit.
Seit zwei Jahren schickt die Caritas in Ełk arbeitslose Frauen als Haushaltshilfen nach Deutschland, vor allem in die Bereiche Olpe und Brilon im Erzbistum Paderborn. "30 sind es bisher", berichtet Mitarbeiterin Renata Stanczyk. "Frauen, die hier keine Arbeit finden, aber arbeiten müssen, weil ihre Familien sonst nicht über die Runden kommen." Männer finden in der Gegend auch keinen Job. Allein das Ausland bietet Einkommensmöglichkeiten für viele Familien. Auch Małgorzata war lange arbeitslos. Das erste Mal fuhr sie im Mai 2011 zur Arbeit nach Deutschland. "Den ganzen Weg weinte ich. Ich hatte Angst, mein Mann würde es nicht schaffen, alleine mit den Kindern. Vorher habe vor allem ich mich um die Kinder gekümmert", erzählt sie. "Ich wollte keine Rabenmutter sein", fügt Małgorzata hinzu. "Aber wir hatten einfach keine Wahl. Dann findet man den Mut." Kacper vermisst seine Mutter, aber er ist auch stolz auf sie. "Sie wagte es wegzufahren, damit es uns besser geht." Er hat viele Klassenkameraden, deren Mütter und Väter im Ausland arbeiten. Es ist keine besondere Sache, erzählt er. Es sei einfacher zu wissen, dass man nicht der Einzige ist.
"Wir haben uns schon Gedanken gemacht, ob die Familien die Trennung überhaupt aushalten würden", räumt Renata Stanczyk von der Caritas in Elk ein. Für eine christliche Organisation war es keine einfache Entscheidung, arbeitslose Frauen ins Ausland zu schicken. "Es gibt in Polen immer noch Frauen, die sich hauptsächlich um ihre Kinder und Ehemänner kümmern, die Hausaufgaben kontrollieren, putzen und kochen. Sie halten die Familie zusammen."
Um den Frauen den Spagat zwischen Arbeit und Familie zu erleichtern, sind kürzere Einsätze im Ausland möglich: "Wir bieten den Frauen an, abwechselnd zwei Monate im Ausland und zwei Monate zu Hause zu sein." Neben der Arbeitsvermittlung kümmert sich die Caritas auch um die Betreuung der zurückbleibenden Kinder: "Sie können in unserem ‚Club’ essen, Hausaufgaben machen, Nachhilfe erhalten und spielen. Damit entlasten wir die Väter und beschäftigen die Kinder." Die Arbeit der Caritas in Ełk wird vom Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und von Renovabis unterstützt.
"Es gibt immer ein Risiko, dass die Kinder mit der neuen Situation nicht zurechtkommen. Doch bisher ist es nie passiert", sagt Stanczyk. "Wir haben einen guten Überblick, was in den Familien passiert: ob die Kinder Probleme in der Schule haben und die Noten schlechter werden, ob sie richtig versorgt sind. Das ist aber nicht der Fall." Die Familien seien zwar arm, hätten aber trotz wochenlanger Trennung einen guten Zusammenhalt. Stanczyk mag den medialen Wirbel um "Euro-Waisen" nicht. "In den Medien geschilderte dramatische Fälle kommen nur in Problemfamilien vor, wo die Auslandsmigration eigentlich nur eine Ausrede ist, sich nicht um die Familie kümmern zu müssen. Es ist ein Argument für ein Elternteil, oder beide Eltern, sich der Verantwortung zu entledigen. Sie sind den Pflichten nicht gewachsen, oft kommt Alkohol ins Spiel. Früher oder später hätten sie ihre Kinder im Stich gelassen, auch ohne Job im Ausland".