Keine billigen Babysitter
Fokus ist aber auch Ansprechpartner für Organisationen, die Freiwillige suchen, etwa als Integrationslotsen, für Schülerhilfen oder Besuchsdienste. Diese Vermittlungsarbeit wird gerne in der Stadt angenommen. Umso mehr bedauert Fokus-Leiterin Ursula Beyling, dass ausgerechnet das hauseigene Projekt "Wir für Kinder", oft auch "Leihoma-Projekt" genannt, ins Stocken geraten ist. Gesucht werden dringend Senioren, die ein ganz besonderes Ehrenamt übernehmen möchten.
"Der klassische Familienverband, mit Großeltern, Eltern, Enkeln, die räumlich nah beisammen wohnen, ist heute längst nicht mehr die Regel. Aus beruflichen Gründen verteilen sich Familien oft auf das ganze Bundesgebiet", erklärt die Leiterin. "Großeltern sehen ihre Enkel selten, Enkel kennen ihre Großeltern oft nur von Weihnachts- oder Geburtstagsbesuchen." Dabei seien gerade Bindungen zwischen Jungen und Alten wichtig. Beyling: "Großeltern sind oft diejenigen, die bei Stress zwischen Kindern und Eltern vermitteln, die, salopp gesagt, mit einer gewissen Coolness Weisheiten weitergeben können." Warum also, so die Frage, sollte man nicht Menschen zusammenführen, die zwar in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen, die aber durchaus eine wichtige Rolle gerade im Leben eines Kindes einnehmen können? Als Leih-Oma eben. Oder Leih-Opa.
"Meine Mutter lebt in Niederkrüchten", erzählt Chantal Lindemann. 29 Jahre ist sie alt, alleinerziehend, Tochter Minou ist drei. Erfahren hat sie von dem Projekt zufällig vor zwei Jahren. Sie klopfte an, lernte Ruth Harst kennen und fand ihre Leihoma. Die 64-jährige Sozialpädagogin hat schon immer gerne mit Kindern gearbeitet. "Chantal und ich verstanden uns auf Anhieb, und wenn ich freitags ein wenig auf Minou aufpasse, dann helfe ich auch Chantal." Die junge Wittenerin absolviert zurzeit nämlich eine Ausbildung zur Erzieherin und sie nimmt Ruth Harsts Hilfe gerne an. Hier haben drei zusammengefunden, gerne gehen sie gemeinsam Spazieren, reden viel, doch sie sind die Ausnahme.
"Es gibt ganz klar die Angst, dass man ausgenutzt wird", erklärt Ursula Beyling ganz offen, "zum Beispiel als billiger Babysitter oder Tagesmutter." Und da ist die Angst vor einer allzu engen Bindung. Dabei gibt es auf der anderen Seite ein großes Interesse: In der Regel handelt es sich um Eltern, die aus beruflichen Gründen nach Witten gekommen sind. Jutta Waldhofer-Maaßen etwa, von Beruf Lehrerin, wünschte sich für ihre kleinen Zwillinge, aber auch ihre beiden acht und zehn Jahre alten Jungs eine Ersatz-Oma. Die leiblichen Großeltern wohnen in Essen und Freiburg. Natürlich wird die Oma in Essen oft besucht, Besuche in Freiburg sind wegen der Entfernung eher selten. "Eltern haben ja eine Art Erziehungsdruck, du musst als Mutter streng sein, du musst als Vater Regeln durchsetzen, da fehlt einfach ein Mensch, der für die Kinder einfach nur da ist, ohne diesen Druck."
Zurzeit stehen sechs Familien bei Fokus auf der Warteliste für eine Leihoma. Ursula Beyling bietet interessierten Senioren ihre Hilfe bei diesem Ehrenamt an. Um der Skepsis entgegen zu wirken, setzt Fokus ganz auf Transparenz. "Wir bleiben bei allen Fragen Ansprechpartner."