KiTa-Kinder lernen von- und miteinander
Die Frau hat Einiges zu organisieren. Täglich in ihrem Alltag. Denn Marisol Lopez Melon (38) aus Essen ist nicht nur dreifache Mutter. Sie hat auch einen interessanten Beruf, für den die Betriebskauffrau studiert hat und beim Spezialchemieriesen Evonik als Managerin für Logistik-Projekte zuständig war. Und demnächst wieder ist. Denn die Deutsch-Spanierin geht zurück in den Job, weil der ihr Spaß macht und vor allem, weil sie ihre Kinder Elias (5), Anna (3) und Mateo (1) gut umsorgt weiß - im Familienzentrum Villa Kunterbunt in Essen-Huttrop.
Zurück ins Haus und an den Herd, wie es die Bundesregierung mit dem von Bayern beflügelten Betreuungsgeld fördern will, ist für Marisol kein Thema. "Das bringt mir gar nichts, was sind denn 100 Euro? Die sollen lieber mehr KiTa-Plätze für die Kleinen ausbauen", sagt sie und schimpft auf die Politik(er). Ihre Erfahrung: "Kinder lernen am besten von Kindern!" Sie habe lange gesucht, bis sie die richtige KiTa gefunden habe - vor allem die altersgemischten Gruppen für Kinder im Alter von vier Monaten bis sechs Jahren findet sie in der vom SkF Essen-Mitte getragenen Villa Kunterbunt "erziehungstechnisch wertvoll". Und das gilt auch für ihre Rasselbande, die sich sichtbar wohlfühlt unter ihres gleichen in ihrer bunten Lern- und Spielumgebung: "Adios Mama, bis heute Nachmittag!"
Die Erziehungspartnerschaft Eltern/KiTa bzw. Tagesmutter hier, die ausschließliche Erziehung durch die Familie (Mutter) dort: Das Reizthema wird viel diskutiert derzeit - seit rund fünf Jahren schachern Politik, Gesellschaft, auch die katholische Kirche sowie diverse Lobbygruppen um den Königsweg der Kinder-Erziehung. Viel Ideologie ist dabei, wenig Realität und moderne Familienpolitik. Die Caritas sagt, das Betreuungsgeld führt gesellschaftlich in die falsche Richtung (s. Interview auf Seite 27). Die traditionelle Kirche hält dagegen: Es gebe kaum einen besseren Hort der Erziehung und Wertevermittlung als das Leben in der eigenen Familie. Der Bischof im bayerischen Eichstätt hat der Caritas sogar jüngst vorgeworfen, das eigene ökonomische Interesse als KiTa-Trägerin vor das Kindeswohl zu stellen. Harsche Worte, die aber, so sagen es viele betroffene Frauen, auf ihre Interessen gar keine Rücksicht nehmen.
Erziehungsrealität 2012
Beispiel Nataliya Tkachenko (28) in Essen-Haarzopf: "Daheim zu bleiben, passt derzeit einfach nicht in meine Lebensplanung", sagt die junge Mutter (Tochter Lina Luisa ist 14 Monate jung), die in Almaty (Kasachstan) zur Welt kam und seit 14 Jahren in Deutschland lebt. Sie hat ihren "Pflege-Bachelor" gebaut und will jetzt nach der Elternzeit weiterstudieren zum Magister im Pflegemanagement. "Wenn ich das nicht tue, bin ich in einem Jahr weg vom Fenster, dann kann ich mir meine ganze Ausbildung an den Hut stecken." Die Tochter kommt für vier Tage in der Woche zu einer Tagesmutter. "Die haben wir uns sehr genau ausgesucht, die muss ja zu uns und unseren Vorstellungen von Erziehung passen", sagt sie und Freund Markus (25), der als Goldschmied arbeitet, nickt: "Das Betreuungsgeld hilft uns da überhaupt nicht weiter."
Wie verbreitet die Kinderbetreuung in Kindergärten und KiTas in Deutschland längst ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Im laufenden Kindergartenjahr 2011/2012 werden im Ruhrbistum im Zweckverband kath. Tageseinrichtungen für Kinder fast 17.000 junge und jüngste Menschen in 272 KiTas betreut. Von anderen Trägern kath. Einrichtungen kommen noch einmal 1500 Kinder hinzu. "Diese Zahlen sind auch Teil der Erziehungsrealität 2012", kommentiert Irmgard Handt, zuständige Referentin für Kinder und Jugend bei der Ruhrcaritas, die Statistik.
Zurück in die Villa Kunterbunt: Marisol Lopez Melon ist von ihrem Weg überzeugt und nennt ein Beispiel. Die KiTa-Betreuerin habe ihr gesagt, dass der Sohn Konzentrations-Defizite habe. "Das hätte ich selbst im alleinigen Umgang mit Elias kaum bemerkt", sagt sie, "ich habe das Muttersein ja nicht gelernt." Unterstützt wird Marisol dabei sogar vom aktuellen Bildungsbericht der deutschen Kultusminister. Dort heißt es zusammengefasst: KiTa-Kinder lernen mehr!
Alexander Richter