„Geht hin, seht nach“
"Armut versteckt sich." Der Slogan einer der ersten Caritas-Kampagnen in Deutschland hat nach fast einem Vierteljahrhundert nichts an Aktualität eingebüßt. Etwa fünf Millionen Menschen leben laut Statistischem Bundesamt hierzulande in so genannter "verdeckter Armut", das heißt, dass sie kein Hartz IV beantragen, obwohl sie wegen geringen Einkommens oder Vermögens Anspruch darauf hätten. Die Gründe für den Verzicht auf Leistungen sind vielfältig. Unkenntnis und Scham spielen eine Rolle. Ältere Menschen befürchten zudem, dass ihre Kinder zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden könnten.
"Genau hier kommen wir ins Spiel", sagt Astrid Peters, Geschäftsführerin des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SkF) in Gütersloh. Mit dem Projekt "Geht hin, seht nach" bietet der SkF Betroffenen die Chance, sich "niedrigschwellig" zu informieren und beraten zu lassen, wie sie ihre finanzielle Situation im Hinblick auf ihnen gesetzlich zustehende Gelder verbessern können. Eine solche Form der Beratung existierte in Gütersloh bisher noch nicht. Gefördert wird das Projekt mit kirchlichen Mittel des Armutsfonds im Erzbistum Paderborn.
"Niedrigschwellig" bedeutet konkret, das vielfältige Orte und Anlässe genutzt werden, um Kontakte zu Menschen aufzubauen, die von sich aus nicht den Weg zum SkF gefunden hätten. Der Projektname "Geht hin, seht nach" ist dabei Programm: Eine "Gehstruktur" ist gefragt, weniger die "Kommstruktur". Und so klappert SkF-Mitarbeiterin Christin Pfützenreuter Angebote wie ein Bedürftigenfrühstück in der St. Pankratius-Gemeinde, Seniorennachmittage oder die Tafel ab, um potentielle "Kunden" anzusprechen. "Ich möchte vor Ort sein, um mit den Menschen zwanglos ins Gespräch zu kommen."
Zu Beginn ihrer Arbeit begegneten ihr manche Menschen mit Skepsis: "Einige dachten, ich würde ihnen einen Staubsauger verkaufen. Aber ich verkaufe nichts, ich biete ihnen nur Informationen an." Vor allem ängstliche Menschen sollen ermutigt werden, in die Sprechstunde zu kommen. Diese werden auch sehr gut besucht, teilweise sei es so voll, dass die zwei Stunden Sprechzeit nicht ausreichen, da der gesamte Flur voller Menschen ist, die Rat suchen. "Es handelt sich dabei sowohl um 20-Jährige als auch um Menschen im hohen Alter", sagt Pfützenreuter. Nach außen hin würden diejenigen, die in "verdeckter Armut" leben, nicht auffallen, da sie ihre Fassade aufrechterhalten. "Es kostet viel Kraft, ein Leben unter diesen Bedingungen zu gestalten. Einladungen zum Kaffeetrinken im Café beispielsweise müssen mit unterschiedlichsten Ausreden abgesagt werden: ein Termin oder eine Erkältung." Pfützenreuter ist ein Satz eines Betroffenen ganz besonders in Erinnerung geblieben: "Der Humor ist das einzige, was mir noch geblieben ist!"
Die typischen Probleme der Menschen betreffen die Zahlungen vom Jobcenter, eine Suchtproblematik oder Schwierigkeiten mit dem Vermieter. Als Erfolg zähle dann, wenn Menschen erfahren, dass es konkrete Hilfen, vor allem auch finanzielle Unterstützung gibt, für deren Bezug man sich auch nicht schämen muss. "Die Leute sind schon dankbar, wenn sie sich endlich angenommen fühlen. Sie freuen sich, dass jemand für sie da ist, der sich Zeit für sie nimmt", betont Pfützenreuter. "Dass man den Menschen zuhört, das macht den Kern der Allgemeinen Sozialberatung aus", ergänzt Astrid Peters.
Peters und Pfützenreuter wünschen sich, dass in der Öffentlichkeit mehr Sensibilität für das Problem der verdeckten Armut entsteht. Und auch dafür, im Notfall Hilfsangebote wie den SkF in Anspruch zu nehmen. "Zwar haben wir als SkF schon einen Namen in Gütersloh, aber es gibt viele, die uns noch nicht kennen."