Demokratie lernen im Stuhlkreis
"Junge Themen" bestimmen die KiJuPa: Bistumsweites Treffen der Caritas-Kinder- und Jugendparlamente in Mülheim
TEXT UND FOTOS ALEXANDER RICHTER
Die Themen liegen auf dem Tisch, sie brennen ihnen unter den Nägeln: "Wir wollen W-LAN überall, wir wollen länger Fernsehen schauen am Abend und auch mehr Taschengeld." Das hatten sich die jungen Abgeordneten der Kinder- und Jugendparlamente (KiJuPa) aus Kinderheimen und anderen Jugendeinrichtungen der Caritas im Bistum Essen als "geforderte Wünsche" so aufgeschrieben.
Die KiJuPa-Kids vertreten die Interessen ihrer jungen Altersgruppen, wozu natürlich die Nutzung der neuen Medien vorrangig zählt. Sie alle haben aber schon erfahren: Demokratie ist auch in der Caritas kein Wunschkonzert. Leon (17) aus Gelsenkirchen: "Es macht aber Spaß, für seine Ziele zu kämpfen. Das nehmen wir hier mit für das ganze Leben."
Zum ersten Mal trafen sie sich jetzt im Mülheimer Naturfreudehaus zum bistumsweiten Erfahrungsaustausch. Das Ergebnis beim Erleben von demokratischen Prozessen: Man redet und diskutiert im Stuhlkreis, hört auch die Argumente der anderen Seite. Keiner gibt wie derzeit in Washington per schwungvoller Unterschrift und einem Wisch die Richtung vor, die oftmals in die Irre führt. Nein, die Jung-Parlamentarier verstehen einander, ziehen irgendwo alle am gleichen Strang. Am Ende steht z.B. dieser Kompromiss: W-LAN wird überall in Kürze vorhanden sein. Nur über die Kürze der Kürze wird noch verhandelt...
Demokratische Strukturen und Partizipation: Das schreibt das Kinder- und Jugendhilfegesetz zwingend vor. "Da sind wir in der Pflicht", kommentiert Caritas-Fachreferentin Reinhild Mersch, die erläutert, dass im Ruhrbistum alle Einrichtungen, die mit Kindern und jungen Leuten arbeiten, solch demokratische Strukturen eingeführt haben. Jetzt in Mülheim sind allerdings nur sechs (2x Duisburg, 2x Gelsenkirchen, Mülheim und Bottrop) von 14 möglichen Parlamentsgruppen anwesend. "Schade, wir hoffen dass es beim nächsten Mal mehr Teilnehmer werden", sagt Dorothé Möllenberg vom Kinder- und Jugendhaus St. Elisabeth in Gelsenkirchen.
Die Nachwuchsparlamentarier, die mit ihren erwachsenen Erziehern dem Ruf an die südliche Ruhr gefolgt sind, haben ihr Kommen nicht bereut. Man lernt sich untereinander besser kennen, sieht, dass man mit den eigenen Problemen nicht alleine steht. "Ach, bei Euch klappt das mit dem Fernsehen nach 22 Uhr abends auch nicht, dann laßt uns doch mal gemeinsam überlegen, ob wir was erreichen können. Zum Beispiel ein Fußballspiel zu Ende gucken…"
Landesweit hatte es 2015 schon einmal ein KiJuPa-Treffen gegeben, die Initiative dazu schlief dann aber wieder ein. Jetzt: ein neuer Anlauf im Ruhrbistum. "Die jungen Leute sollen und können Demokratie erleben, in den sie ihren Alltag bewusst und gezielt mitgestalten", gibt Reinhild Mersch die Richtung vor. Die Nachwuchs-Parlamentarier, die keine Parteien und keine "Wahlkrämpfe" kennen, haben längst begriffen: "Demokratie ist, wenn wir gemeinsam eine Lösung suchen und nicht einer von oben herab bestimmt."
Die Kids jedenfalls sind hochmotiviert bei der Sache, hören zu und quatschen nicht dazwischen. Auch das Handy bleibt aus - zumindest während der Gruppensitzung. Die Atmosphäre ist friedlich, auf Konsens angelegt. Auch wenn’s manchmal lange Diskussionen sind. So wie bei Christoph, der sein Taschengeld - immerhin 30 Euro plus 15 Euro Sparzulage - aufs Konto überwiesen haben will. "Dann habe ich einen besseren Überblick und bin Herr über mein Geld", sagt der junge Mann, der sich am Ende auch durchsetzt. Der Respekt seiner jungen Kollegen ist ihm sicher: "Mensch, das ist ne gute Idee, wollen wir auch."
Auch der kleine Hasan, gerade mal zehn Jahre jung, bringt sich ein. Er kniet auf dem Boden, um sich herum sechs Legohäuser, die in echt die Wohnhäuser des Caritas-Kinderdorfs "Am Köllnischen Wald" in Bottrop symbolisieren. Und Hasan hat die Aufgabe, sie seinen Mit-Parlamentariern vorzustellen. Der junge Deutsch-Türke ist nervös, als er die Namen der einzelnen Wohngruppen Häuser aufzählt. "Sausewind" und "Horizont" weiß er noch, aber dann der Lapsus mit "Haus Adlerauge": das Adlerauge fällt ihm einfach nicht ein. Bianca Sprave-Pütter, seine Betreuerin, hilft ihm aus der Patsche. Hasan schüttelt sich kurz, lächelt ganz gewinnbringend, sagt noch, dass "50, nein 60 Kinder hier leben" - und bekommt viel Applaus aus dem Plenum. Hasan hat seine Sache gut gemacht und ein Stück weit Demokratie mit Legosteinen gelernt. Dass er einen Fehler gemacht hat? Geschenkt! Denn alle im Raum wissen: "Auch Fehler und kleinere Pannen gehören zur Demokratie dazu."
In der Regel treffen sich die einzelnen KiJuPa einmal im Monat, sehr oft dienstags für eine Stunde. Manchmal falle das Plenum aus, das sei schade, meint die Deutsch-Türkin Dilara (16) aus Gelsenkirchen, denn ein Problem acht Wochen auf die lange Bank zu schieben, sei nicht wirklich zielführend. Dann eiere die Demokratie der kleinen Beispiele in einer Warteschleife. "Nicht gut", kommentiert das selbstbewusst auftretende Mädchen.
Ganz wichtig für die Kid ist das Thema "Ausflüge": Mal gemeinsam nen Burger essen oder ein Eis schlecken. Mal Grillen im Garten oder nen DVD-Abend. Und einmal im Jahr ne große Fahrt - etwa nach Brühl (bei Köln) ins Phantasialand.
Gunnar Brock vom Kinderheim St. Barbara in Duisburg, weiß so viel Engagement zu schätzen: "Es ist gut, dass ihr uns eure Themen immer wieder vor Augen führt, dann denken wir auch die Umsetzung, wenn möglich. Was Michael schmunzeln lässt. "Ein bißchen dürfen wir schon mitbestimmen", meint er, der auf Krücken zum Treffen gehumpelt kommt. Er hat sich am Fuß die Bänder gedehnt. Aber deshalb die Sitzung ausfallen lassen: "Kommt nicht infrage, hier geht‘s doch auch um mich."
Am Ende des Treffens dürfen alle Kids auch wieder richtig jung und verspielt sein: Grillwürstchen, Bogenschießen und natürlich Facebook und Twitter. Die Smartphones werden rasch wieder auf laut gestellt…