Flüchtlinge auf „Lagertour“
Ihre Musik und ihre Talente wären dem deutschen Publikum beinahe verborgen geblieben. Nun sind ihre Lieder im vergangenen Jahr veröffentlicht worden: The Refugees (die Flüchtlinge), fast 30 Musiker/innen aus aller Welt, haben gemeinsam mit der "Ska-Punk-Polka-Rock-Band" Strom & Wasser ein Album aufgenommen. Sie kamen unter anderem aus Ghana, Iran, Afghanistan, Kenia, Russland, der Elfenbeinküste, Somalia, aus dem Kosovo, Äthiopien und vielen anderen Ländern, bevor sie in Deutschland Asyl beantragten und schließlich in Flüchtlingswohnheimen untergebracht wurden.
Dieses einzigartige Musikprojekt hat Heinz Ratz, Liedermacher, Schriftsteller und Kopf der Band Strom & Wasser ins Leben gerufen: 2011 radelte er durch Deutschland und besuchte mehr als 80 Wohnheime. Er gab dort Konzerte und sammelte Spenden für Flüchtlinge. Im Zuge dessen lernte er in den Wohnheimen lebende Musiker(innen) kennen und entschloss sich, zusammen mit ihnen ein Album aufzunehmen. Dafür lud er sie zu sich nach Hamburg ein. "Wir hatten dabei jedoch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen", berichtet Ratz. "Viele Flüchtlinge sind nur begrenzt telefonisch erreichbar. Internet-Nutzung gibt es in vielen Lagern nicht oder nur sehr eingeschränkt - und auch viele Behörden machten uns Schwierigkeiten. Für jede Reise mussten wir eine Sondergenehmigung beantragen, die den Flüchtlingen nur eine genau vorgegebene Reiseroute gestattete. Polizeikontrollen führten zu Verspätungen. Manches bereits gekaufte Zugticket ging verloren, weil Reisegenehmigungen in letzter Sekunde doch nicht erteilt wurden." Herausgekommen ist dennoch ein buntes Album, das besonders von den vielfältigen musikalischen Einflüssen der Flüchtlinge lebt: So prägen unter anderem Elemente aus Reggae, Hip-Hop, Jazz und Folk die Platte.
Strom & Wasser feat. The Refugees ziehen die Massen an
Mittlerweile ist ein fester Kern der Musiker(innen) bereits seit Mai 2012 auf der so genannten "Lagertour" unterwegs. Manchmal spielen sie vor mehreren Tausend Menschen, etwa beim "Fusion-Festival" in der Mecklenburgischen Seenplatte oder beim TFF (Tanz&FolkFest) in Rudolstadt, dem größten Folk-Festival Deutschlands, bei dem im vergangenen Jahr mehr als 90.000 Besucher/innen zu Gast waren. Mehr als einhundert Konzerte werden Strom & Wasser und die Refugees bis zum Ende dieses Jahres gegeben haben.
Nicht zum ersten Mal macht der Weltenbummler Heinz Ratz mit Aufsehen erregenden Aktionen wie der "Lagertour" auf soziale Probleme in der Bundesrepublik aufmerksam: 2008 begann er mit seinem "Triathlon der neuen Werte" und machte sich in dessen erster Disziplin zu Fuß auf den Weg von Dortmund nach München. Im Rahmen dieses "Laufs gegen die Kälte" gab Ratz 30 Konzerte in 30 verschiedenen Städten - zu Gunsten von Wohnungslosen. Darauf folgte 2009 mit "die Lee(h)re der Flüsse" die nächste sportliche Disziplin: Ratz schwamm durch deutsche Ströme und besuchte im Zuge dieses der Umwelt gewidmeten Projekts 52 deutsche Städte. Vor allem die Menschen in Großstädten, die "von dem allmählichen Verschwinden so vieler Tier- und Pflanzenarten gar nichts mitbekommen", wollte er auf die Verödung auch ihrer Welt aufmerksam machen.
Ratz erhält Integrationsmedaille der Bundesregierung
Die Öffentlichkeit sensibilisieren wollen Heinz Ratz und seine Band nun mit dem dritten und letzten Teil des Triathlons für Missstände im Asylsystem: die eingeschränkte Reisefreiheit von Asylberwerber/innen, ihre hürdenreiche medizinische Versorgung, das Abspeisen mit Sachleistungen statt mit Geld in manchen Bundesländern oder die mancherorts schlechten hygienischen und baulichen Zustände der Wohnheime.
Im Herbst 2012 erhielt Ratz schließlich - vorgeschlagen von den Grünen-Poltikern Renate Künast und Jürgen Trittin - für sein Engagement die Integrationsmedaille der Bundesregierung. Ratz hofft, dass "durch eine solche offizielle Ehrung viele Menschen aus der bürgerlichen Mitte, die Flüchtlingen gegenüber Vorbehalte und Vorurteile besitzen mögen und auch einen anarchistischen Typen wie mich mit spürbarem Misstrauen betrachten, sich dem Projekt und dem Thema leichter öffnen können". Vor allem aber hofft Ratz in seiner Erklärung zur Verleihung der Medaille, "dass der Staat nicht so heuchlerisch sein wird, auf der einen Seite ein solches Projekt mit einer Medaille auszuzeichnen und auf der anderen Seite die Musiker aus den Flüchtlingslagern abzuschieben."
Ihre heilsamen Spuren hinterlässt die "Lagertour" schon jetzt bei den Menschen, die daran teilnehmen: "Viele Künstler habe ich anfangs hoch depressiv angetroffen", erinnert sich Initiator Heinz Ratz. "Schon seit Jahren mussten sie in den Lagern wohnen und waren dabei ständig von Abschiebung bedroht." Im Laufe des gemeinsamen Musikprojekts seien sie regelrecht aufgeblüht. "Weil sie die Chance bekommen haben, Musik zu spielen und damit öffentlich aufzutreten." Die Refugees sind weiter auf Tour…
Tourdaten, Infos zur Band und zum Album unter www.strom-wasser.de