Ein Girokonto für jedermann
"Ein Girokonto für Jedermann" - unter dieser Überschrift gibt es bereits seit vielen Jahren eine anhaltende Diskussion und einzelne Streitfälle vor Gerichten in Deutschland. Der Begriff "Jedermann-Konto" beschreibt das Recht jeder Bürgerin und jedes Bürgers auf ein Konto, um bargeldlose Zahlungen zu tätigen. Allerdings besteht darauf kein Rechtsanspruch. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) hat es als eine freiwillige Selbstverpflichtung an ihre Kreditinstitute definiert. Für das einzelne Kreditinstitut besteht jedoch keine rechtliche Verpflichtung, ein Girokonto einzurichten.
Ein Kreditinstitut ist nicht verpflichtet ein Girokonto zu führen, wenn dies unzumutbar ist. Als Gründe werden genannt: Die Leistungen des Kreditinstitutes werden von den Kunden missbraucht. Der Kunde macht falsche Angaben. Es ist nicht sichergestellt, dass das Institut die für die Kontoführung erforderlichen Entgelte erhält.
Ohne Konto sind einzelne Menschen oder auch Familien von vielen Dingen des täglichen Lebens ausgeschlossen. Zahlungen für Miete, Strom, Telefon müssen bar eingezahlt werden und sind dann mit hohen Kosten verbunden. Auch die Suche nach einer neuen Arbeitstelle wird erschwert. Häufig hat ein Arbeitgeber kein Verständnis für die schwierige Situation, ein Arbeitsverhältnis kommt deshalb oft nicht zustande. Auch eine Auszahlung von Sozialleistungen gestaltet sich schwierig. Per Barscheck können Gebühren berechnet werden.
Die Schuldnerberatungsstellen in Deutschland machen immer wieder auf das Problem aufmerksam und fordern eine politische Lösung. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen in Deutschland vertritt die Auffassung: "Ohne Konto ist man praktisch Nichts - deshalb ist das Recht auf ein Girokonto ein Teilhaberecht am Wirtschaftsleben für Jedermann."
Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung geht nur am Rande auf die Ursachen der Überschuldung ein. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Überschuldung. Die Höhe der Zinsen für Dispokredite und die uneinheitlichen Verfahrensweisen beim Pfändungskonto bleiben unerwähnt.
Nach Einschätzung des Deutschen Caritasverbandes sollte schon frühzeitig auch eine "Finanzielle Allgemeinbildung" an den Schulen erfolgen. Schon Kinder und Jugendliche sind eine wichtige Werbezielgruppe für Wirtschaft und Industrie.
Im Jahr 2010 wiesen 1,8 Millionen Haushalte in Deutschland eine hohe Überschuldungsintensität auf. Soziale Schulderberatung kann maßgeblich dazu beitragen, die Schulden zu regulieren, zu reduzieren und auch die wirtschaftliche Handlungskompetenz zu verbessern.
In der Diözese Görlitz gibt es unter dem Dach der Caritas an folgenden Standorten eine Schuldner- und Insolvenzberatung: Görlitz, Hoyerswerda, Cottbus und Senftenberg.
Über die Situation dieser Beratung haben wir bei Michael Schwarz aus der Beratungsstelle in Cottbus nachgefragt:
Nach wie vor gibt es keinen Rechtsanspruch auf ein "Jedermann-Konto". Welche Erfahrung machen Sie in der Praxis? Gibt es Menschen, die in die Beratungsstelle kommen und kein Konto haben?
Seit der Einführung des Pfändungsschutzkontos haben zunehmend weniger Personen ihr belastetes Konto gekündigt bekommen. Das hat dazu geführt, dass weniger Schuldner ohne Konto in unsere Beratungsstelle kommen. Dennoch gibt es immer noch einige Menschen ohne Konto, da sie es schon gekündigt bekommen hatten oder wegen ihrer negativen Schufa-Eintragung. Im letzten Jahr gab es eine weitere Erklärung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, jeder Person ein sogenanntes "Guthabenkonto" zu gewähren. Hierzu gibt es unsererseits erste positive Erfahrungen. Doch ersetzt diese Selbstverpflichtung immer noch nicht den notwendigen Rechtsanspruch auf ein Konto.
Was geschieht, wenn einzelne Menschen oder Familien in die Beratungsstelle kommen? Wo beginnt die Hilfe und was können die Betroffenen von den Beratern erwarten?
Es muss erst einmal festgestellt werden, welche Möglichkeiten es zum Erhalt des Kontos gibt und ob die Umwandlung in ein Pfändungsschutzkonto eine sinnvolle Möglichkeit darstellt. Die anerkannten Insolvenzberatungsstellen stellen dazu nach einer ausführlichen Prüfung die notwendige Bescheinigung zur Vorlage bei der Bank aus. Im Gesetz wurden als bescheinigende Stellen auch die Arbeitgeber, Sozialleistungsträger oder Familienkassen erwähnt. Da die meisten Institutionen die Bescheinigung nicht oder nur teilweise ausstellen, wurden nur die Insolvenzberatungsstellen einseitig mit dieser Aufgabe belastet. Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen befassen sich generell mit dem existenziellen Bedarf, ein Konto zu bekommen. Dazu erhalten die Ratsuchenden Hinweise, an welche Banken sie sich wenden können, wie sie auftreten sollen und was im Fall einer Ablehnung zu tun ist. Hierbei wird auf die Beschwerdestellen der Banken und Sparkassen verwiesen, was im Einzelfall dann zum entsprechenden Konto führt.
Die Schuldnerberatung gehört zu den Pflichtaufgaben der Kommunen, denn es ist eine wichtige Aufgabe, Menschen aus dem Kreislauf von Überschuldung und deren Folgen heraus zu holen. Reicht das Beratungsangebot der Caritas und der anderen Vereine in der Region aus, um Menschen zeitnahe Hilfe und auch präventiv Beratung anzubieten?
Es gibt zunehmend anerkannte Schuldner- und / oder Insolvenzberatungsstellen, die eine schnelle Entschuldung anstreben, sich jedoch nicht mit dem Menschen und seiner Notlage und seiner fehlenden Finanzkompetenz beschäftigen. Auch die Trennung der Förderung im Land Brandenburg in die Schuldnerberatung durch Kommunalförderung und in die Insolvenzberatung durch eine Landesförderung ist kontraproduktiv.
Durch diesen Zustand geraten immer wieder Menschen zwischen die Zuständigkeiten. Sie müssen sich erneut erklären und erhalten häufig nur eine technische Entschuldung, ohne dass an dem Kern des Problems etwas verändert wird.
Hinzu kommt, dass viele Insolvenzberatungsstellen sich ihre Arbeit durch die Ratsuchenden bezahlen lassen, da die Leistungsträger nicht alle Tätigkeiten finanzieren und die Kostensätze seit der Einführung der Verbraucherinsolvenzverfahren im Jahr 1999 gleich geblieben sind. Dieser Zustand ist auf langfristige Sicht kontraproduktiv und führt dazu, dass die Ratsuchenden resignieren, sich ihre Not verschlimmert und erneute Hilfe notwendig ist, was zu erneuten Kosten führt.
Die Präventionsarbeit sollte zu der Arbeit der Schuldnerberatungsstellen gehören, da sie zur Erhöhung der Finanzkompetenz der Ratsuchenden beiträgt, bevor die Überschuldung eingetreten ist. Sie wird von den Leistungsträgern gern gesehen, findet jedoch keine Anerkennung in der Förderung.
Die Caritas-Regionalstelle Cottbus bietet Schuldner- und Insolvenzberatung kostenlos an. Sie nimmt sich die Zeit, mit den Ratsuchenden ganzheitlich zu arbeiten und die Prävention gehört mit ins Leistungsangebot. Dieses Leistungsspektrum ist jedoch nur durch die zusätzliche Aufwendung von Eigenmitteln möglich.
Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen benötigen daher in Zukunft einheitliche Qualitätsstandards, die nicht von der Sicht und vom Haushalt des jeweiligen Kostenträgers abhängig sind.