Ein Konto - sonst nichts
Schulden haben Martina S. krank gemacht. Schließlich konnte sie nachts nicht mehr schlafen. Dabei hatte sie am Anfang nur einen Fernseher und einen Staubsauger auf Raten gekauft. Der Ratenvertrag ging über die XY-Bank: „Weil ich nach der Scheidung überhaupt nichts bekommen habe. Ich musste mir Möbel kaufen, um mit meiner Tochter alleine zu leben. Da habe ich einen Kredit aufgenommen und den habe ich immer wieder aufgestockt – bis heute.“ Gebraucht hat sie das Geld zum Leben und Mietebezahlen. So hat sie seit Jahrzehnten Schulden, heute noch 18000 Euro.
Am Anfang ging alles gut, Martina S. hatte einen Beruf und ein festes Einkommen. Erst als sie vor lauter Angst psychisch krank wurde, verlor sie ihre Anstellung. Heute ist sie erwerbsunfähig berentet. Die XY-Bank sieht sie als den Schuldigen an: „Die haben mich geworben, einen Kredit von der Z-Bank übernommen, Zinsen und Bearbeitungsgebühren draufgeschlagen, Versicherungen, so ging das immer weiter, bis jetzt“, berichtet Martina S. der Schuldnerberaterin.
Martina S. wäre vielleicht nicht krank geworden, hätte sie ein „Girokonto für jedermann“ gehabt: ein Angebot, das jede Sparkasse, Volksbank und Privatbank bereitstellen müsste. Damit kann man keine Schulden machen, keinen Kredit aufnehmen, nichts auf Raten kaufen. In einer „Selbstverpflichtung“ haben Banken und Sparkassen vor vielen Jahren unterschrieben, auch armen und nicht finanzkräftigen Kunden mindestens ein Konto auf Guthabenbasis zur Verfügung zu stellen.
Geld war stets knapp bei der alleinerziehenden Mutter, und immer, wenn es nicht mehr reichte, drängte die XY-Bank sie zum Kredit. Auch wenn sie die Raten nicht mehr bezahlen konnte. Dann wurde umgeschuldet. Da hat sie neben dem Beruf im zweiten und dritten Job gearbeitet. Aber: „Die Schulden haben mich aufgefressen.“
Konto weg wegen Kleinigkeiten
Martina S. ist überschuldet, andere Kunden sind klamm und verlieren wegen Kleinigkeiten ihr Konto. Oft warten Geldinstitute nur auf einen Fehler, damit sie jemanden loswerden können, der sich nicht für Kundenprospekte eignet. Darüber berichten Verbraucherschützer und Schuldnerberater aus alltäglicher Erfahrung. Sie bewerten das als Verstoß gegen die Selbstverpflichtung der Banken. „Wer zwei Konten hat, dem kann eine Bank auch ohne Grund jederzeit kündigen“, sagt Marius Stark, Schuldnerberater der Caritas. „Das letzte Konto darf eigentlich nur aus ganz besonderen Gründen kündbar sein.“
Stark sagt, ohne Bankverbindung kann heute niemand mehr in unserer Gesellschaft leben. Vor allem Arme nicht. „Sie müssten dann ja jeden Monatsersten gegen Extragebühren Miete und Monatsgebühren für Wasser, Strom, Abfall bar einzahlen. Für teures Geld, das sie doch gar nicht haben.“ Und nicht nur im Jobcenter, auch wenn man eine neue Arbeit findet, braucht man ein eigenes Konto zur Legitimierung beim Arbeitgeber. „Es ist keine dauerhafte Lösung, dann Konten von Freunden oder Verwandten anzugeben“, berichtet der Schuldnerberater.
Laut Geldwäschegesetz darf niemand Geschäfte über ein Konto tätigen, das gar nicht ihm gehört. Auch wenn Schuldnerberater Geldinstitute kennen, die hier mal ein Auge zudrücken: Verboten ist verboten – und zudem ein Kündigungsgrund, wenn solche Transaktionen auffliegen.
Banken, die künftig Kunden abweisen oder in Kredite nötigen, müssen sich jetzt warm anziehen. Die Europäische Kommission ist dabei, die Kontostandards in ganz Europa zu prüfen. Das klar formulierte Ziel heißt: Jeder EU-Bürger muss ein Girokonto zu einem fairen Preis bekommen. Sonst werden strikte Regeln verbindlich erlassen, an denen kein noch so wendiger Banker mehr vorbeikommt.